Was in nur einem Monat geschehen kann - eine Rückblende

Ein Monat

von | Jan 23, 2020

Eine Rückblende aus meinem Tagebuch des Grauens. Zurück zu Steffens Tod und was kurz davor geschah. In nur einem Monat.

Heute vor einem Jahr waren wir beide noch so hoffnungsfroh und wir wussten nicht, was in nur einem Monat geschehen würde …

20.01.2019

An diesem Sonntag gab es eine Familienfeier in Dresden. Steffens Mama feierte ihren Geburtstag und die gesamte Familie war eingeladen. Nach unserer Chinareise sahen wir alle Familienmitglieder endlich wieder und es war ein wunderbarer Geburtstag.

Steffen fühlte sich in seiner Familie endlich richtig aufgehoben und strotzte vor Tatendrang und Geschichten. Spät in der Nacht sind wir dann auch noch bei lauter guter Musik nach Hause, nach Berlin gefahren, da wir am nächsten Tag unseren ersten großen gemeinsamen Auftrag haben würden. Es fühlte sich wieder so gut an, denn wir waren wieder zurück in unserem alten gewohnten Leben.

21.01.2019

Dieser Montag startete nach einem halben Jahr sehr ungewohnt. Wir haben beide nicht richtig geschlafen, da wir sehr aufgeregt waren. Unser erster großer Auftrag in diesem Jahr stand an, das Catering für die Crew von PuffPaffs Happy Hour. Und Steffen würde das erste Mal seit einem halben Jahr wieder mit mir zusammen arbeiten.

Ein fester Auftraggeber schon seit Jahren und das erste Mal seit einem halben Jahr arbeiten Steffen und ich wieder gemeinsam. Würde alles funktionieren? Würde Steffen die stundenlange Anstrengung aushalten? Sicherheitshalber hatten wir uns noch Hilfe geholt, und das war schlau.

22.01.2019

Und an diesem Tag vor einem Jahr mussten wir dann lediglich alles abbauen und das Mietgeschirr wieder zurück zum Verleih bringen. Steffen war zwar geschafft aber glücklich. Es würde weiter gehen, er ist wieder im Team.

Gleichzeitig schlich sich aber eine Unzufriedenheit bei uns beiden ein. Warum dauerte die Genesung so lange? Warum war Steffen so furchtbar schlapp? Er erholte sich doch sonst nach den Chemotherapien schneller?

Ungeduld

Steffens Fingerspitzen waren taub, seine Knöchel knickten schnell um und viel zu oft musste er die Beine hochlegen, da die Lymphflüssigkeit nicht richtig zirkulieren wollte. Und diese Kälte, ständig war ihm kalt. Die Küche hatte keine Heizung und das Ganze bei einer Außentemperatur von 3 Grad.

Unserer Nerven lagen blank. Wie soll es jetzt weiter gehen, kann ich Steffen voll einplanen oder nicht? Wird es wieder besser oder nicht? Wie in jeder Beziehung fingen wir uns auch wieder an zu streiten. Menschlich, oder? Bescheuert, ja! Wir beide voller Ungeduld und Unsicherheit und niemand da, den man sonst beschuldigen konnte.

Im Nacken die bloße Existenzangst. Es war Januar, im Februar würde wieder der Steuerbescheid für 2017 kommen und die Nachforderungen würden gigantisch werden. Mindestens 10.000 EURO und es würden sicherlich mehr werden. (Am Ende waren es 18.000 EUR …).

Und nach dem letzten Jahr waren die Reserven fast aufgebraucht, wir mussten unbedingt Geld verdienen. Aber wie, wenn ich mich nicht auf Steffens Arbeitskraft verlassen konnte. Jeder zusätzliche Angestellte würde den Gewinn wieder minimieren. Eine so fatale Spirale aus Arbeit, Steuerabgaben und Bürokratie, unter der man langsam zerbricht.

Gestern war ich an Steffens Grab auf dem Friedhof. Ich ging wieder vorbei an einem Grab des Inhabers des Partyservices von Ebersbach – er war auch viel zu jung 2017 gestorben. Und gerade stolpere ich über eine Nachricht, dass zwei Gastronomen aus Dresden innerhalb eines Monats gestorben sind. Das eine hat sicher nichts mit dem anderen zu tun, aber es zeigt, was für ein aufreibender Job das Arbeiten in der Gastronomie ist.

Und all das lag auf unseren Schultern, auf meinen Schultern lag die ganze Bürokratie und Planung, während Steffen sich leise Vorwürfe machte, warum er so unnütz und schwach ist und nicht heil wurde und mir nicht helfen konnte.

Nur ein Monat

Hätte uns in diesem Moment irgendjemand gesagt, dass Steffen exakt einen Monat später tot sein würde …

Unsere Familien hatten Steffen an diesem Wochenende das letzte Mal lebendig gesehen.

Wir hatten nur noch einen letzten gemeinsamen Monat. 

Und wir hatten nichts Besseres zu tun, als uns zu streiten.

Das sind Dinge, die ich mir immer noch so unendlich wehtun. Aber ich kann es nicht ändern. Ich kann nicht zurück, Steffen kommt nicht zurück.

Die Situation hat uns beide gekillt, das weiß ich jetzt.

Ich hätte nicht anders handeln können. Der Stress war viel zu hoch, um reflektiert miteinander umgehen zu können.

Ich bin dabei, mir zu verzeihen. Kein Mensch kann das aushalten.

Jeder Mensch, der pflegt und sich um andere kümmert, weiß, dieses Leben ist nicht Hollywood.