Der letzte Teil meiner Etappe durch Italien hat begonnen. Wehmut umkrampft mein Herz. Nach einer wilden Nacht auf der Fähre sage ich Italien Lebewohl.

Nach der Überfahrt legt die Fähre gegen 7:00 Uhr in Livorno an. Jetzt liegt ein ordentlicher Ritt vor mir, denn mein nächstes Ziel ist der Comer See, aber vorher muss ich noch die Apenninen überqueren.

Nach dieser Nacht bin ich etwas durch, aber es geht mir überraschenderweise recht gut. Ich hatte es mir schlimmer vorgestellt, aber das Adrenalin peitscht mich hoch. Ich bin gespannt, was mich heute wohl erwarten wird.

Verpeilte Urlaubsplanung

Vielleicht wundert Ihr Euch, warum ich so eine weite Strecke von fast 400 km über die Apenninen an nur einem Tag fahren will?

Nun, als ich die Reise geplant habe, habe ich diese immer in maximal 200 km langen Etappen pro Tag geplant. Und es endete immer mit: „ach, Florenz, da wollte ich schon immer mal hin.“ Und klick, zack, habe ich das Zimmer für zwei Tage gebucht. So ging das bei der ganzen Vorbereitung weiter. Dann endete ich in Sardinien und stelle fest: Huch, die Überfahrt zurück aufs Festland ist ja erst am 07.10.! Ich habe doch einen Arzttermin am 15.10., da muss ich doch wieder in Berlin sein!

Kurze Panik, aber dann war es mir auch wieder egal. Das wird schon irgendwie gehen. Ich werde die Reise definitiv nicht stornieren. Denn diese Reise ist das erste schöne, was mir seit Monaten passiert. Daher erscheint Euch und mir die Rückreise also so fluchtartig.  

Livorno

Nun, ich reihe mich mit allen in ihren Autos auf der Fähre ein und schneller als ich gucken kann, bin ich schon wiede ran Land. Ich freue mich diebisch in meinem kleinen Auto, dass mir nach dieser Klimaanlagen- und winddurchpusteten Nacht endlich einmal warm wird.

Da sehe ich das Mädchen, meine Bekanntschaft von der Fähre heute Nacht. Sie redet mit einem älteren Herrn, wahrscheinlich ihre Mitfahrgelegenheit nach Milano. Sie sprach davon, dass sie eine Mitfahrgelegenheit hätten. Ich sehe ihn, ihren Freund, jedoch nicht. Wahrscheinlich fragt er andere Menschen, ob sie der Fahrer sind.

Ich fahre also weiter in den Sonnenaufgang Richtung Pisa, Richtung Apenninen. Da sehe ich ihn plötzlich, er ist schon einen halben Kilometer von der Fähre entfernt. Er läuft mit einem anderen Typen Richtung Stadt. Sein Schritt ist cool und schwer und wütend. In der linken Hand die Zigarette, die er wie ein Russe hält – ich meine damit: nur mit Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger.

Ach du Scheiße, denke ich, sie haben sich gerade getrennt. Schon auf der Fähre war am Morgen dicke Luft zwischen den beiden. Dass es aber so krass ist, hätte ich nicht gedacht. Die Gute muss jetzt also irgendwie allein weiterkommen.

Zweifel

Nun sprechen Engelchen und Teufelchen in mir, der eine sagt: „kehr um, hilf ihr.“ Und der andere sagt: „ach, die spricht nur die Leute nach der vereinbarten Mitfahrgelegenheit an, sie ist versorgt.“ Aber die Mamaseele in mir bewegt mich zum Umkehren.

Gedacht, getan. Und wie schon auf der Hinfahrt verwirre ich mich in den ganzen Kreisverkehren, Auf- und Abfahrten, verschiedenen Hafenzugängen und anderem hin- und her. Nach drei Versuchen komme ich einfach nicht mehr zur Fähre. Dann soll es wohl so sein.

Außerdem habe ich noch 7 h Fahrt vor mir. Dann muss ich langsam mal losmachen. Ich kapituliere und hoffe, dass es ihr gut geht und starte nun Richtung La Spezia, denn dann geht es erst durch die Apenninen.

Dafür fährt man die ganze Strecke direkt am Meer entlang. Durch endlose aneinander gereihte italienische Ferienorte. Die Strände sind aufgeteilt und eingeteilt, überall sind Bars und Restaurants. Da ich mich aber gerade komplett in der Nebensaison befinde, ist alles geschlossen, die Strände sind leer. Die Restaurants sind zu. Nirgendwo gibt es eine kleine Bar oder ein Frühstücksrestaurant. Nur unendlich viele Radfahrer und Radrennfahrer nutzen die schnurgerade und breite Straße als Übungsstrecke.

Nach der durchzechten Nacht habe ich schon etwas Appetit. Aber die Kekse und die Club Mate, die ich im Kasten aus Berlin mitgebracht habe, mein „travel mate“, hahaha, erhalten mich am Leben. Das wird schon gehen, egal. Wer sitzt, braucht auch keine Kalorien.

Die Tankstelle

Aber das Auto braucht Diesel und da der Diesel auf Sardinien im Schnitt 10 ct teurer war, als auf dem Festland, habe ich mit dem Tanken gewartet. Nun finde ich eine Esso-Tankstelle mit einem annehmbaren Diesel-Preis und halte an der Zapfsäule.

Sofort kommt eine kleine ältere Frau, ich möchte fast Oma sagen, angetappelt und übernimmt den Zapfhahn. Sie fragt mich, ob ich wirklich Diesel möchte und kein Benzin und tankt für mich das Auto voll. Ich lege beim Tanken immer den Tankdeckel oben auf das Auto. Der Renault Kangoo ist recht hoch. Steffen hat sich immer auf das Auto gelehnt, wenn er auf mich gewartet hat, das schaff ich zum Beispiel nicht, so hoch ist das Auto. Nun möchte die kleine ältere Dame aber an den Tankdeckel herankommen, welcher auf dem Autodach liegt, um den Tank zu schließen und schafft es nicht, denn sie ist viel kleiner als ich. Wir scherzen darüber etwas und ich gebe ihr einen Euro fürs Volltanken. Manchmal haben sie ja so Leute an den Tankstellen, die sich auf diese Weise etwas hinzu verdienen.

Aber weit gefehlt, die Dame läuft mir hinterher zur Kasse – ja stimmt, das war die erste Tankstelle ohne Automatenbezahlung, sondern mit richtiger Kasse, wie wir es ja aus Deutschland kennen – und stellt sich hinter die Kasse und kassiert mich ab. Nun, das finde ich krass, diese Dame, die bei uns längst in der Rente wäre, führt die Tankstelle, tankt und kassiert und macht alles allein. Das beobachte ich hier öfters, dass hier viele Bars, Geschäfte und Lädchen von Menschen, die bei uns längst in Rente wären, geführt werden.

Bank Berge Wiese Weite schön

Die Apenninen

Auf Höhe von La Spezia folgt man nun rechts einem Flussverlauf in Richtung der sich schon die ganze Zeit dramatisch auftürmenden Berge der Apenninen. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie hoch die sind. Das hatte ich nicht auf dem Schirm.

Die Straße führt am Flussverlauf entlang und ist recht kurvig. Und nun erfreut einen hinter jeder Kurve ein völlig neuer und bezaubernder Anblick der Landschaft und der kleinen Dörfchen. Leider kann ich nicht anhalten und Bilder machen, so müsst Ihr mir dies einfach glauben. Aber diese Gegend bedarf eines zweiten Besuches, das ist mal Fakt. Vielleicht nächstes Jahr.

Parallel zur Landstraße schraubt sich die Autobahn über atemberaubende Brücken und Tunnel an mir vorbei. Ich bin froh, die Landstraße gewählt zu haben, so bekomme ich einfach mehr vom Land selbst mit.

Irgendwann geht es aus dem Tal heraus und die Straße windet sich in endlosen Serpentinen nach oben. Im Radio läuft die ganze Zeit natürlich nur italienische Musik, die sich komplett der Kurvenbewegung der Straße anpasst. Ich bin verloren. Das ist perfekt. Natürlich bin ich ergriffen und muss heulen, aber das ist gut so, denn wer heult, der fühlt. Und ich heule gerade, weil alles hier so unfassbar schön ist.

Italopop

Das hier ist übrigens das Lied zur Fahrt, eigentlich das Lied des ganzen Urlaubs. Das Video ist bisschen naja, und derjenige, der das Script zum Video geschrieben hat, der war wohl ein bisschen lustmolchig unterwegs und in den 90ern gefangen, aber „listen to the music“ und stellt euch einfach vor, ihr fahrt unendliche Serpentinen in den Apenninen und reißt immer im Takt das Lenkrad herum, dann passts.

Irgendwann komme ich auf dem Pass über die Apenninen an und verschnaufe kurz. Dafür finde ich einen kleinen Parkplatz mit einem kleinen Bänkchen, von welchem aus man einen atemberaubenden Blick über die Berge und in das Tal hat.

Würzig riechen die Wiesen, warme Luft weht aus dem Tal hinauf. Ach Italien. Wie schön du bist! Ich könnte ewig so weiter machen. Ich glaube, nun habe ich mir endgültig den Reisevirus eingefangen.

Zukunft? Zukunft!

Und schon die ganze Zeit wabert eine Idee durch mein Hirn. Warum nicht reisen? Warum nicht woanders völlig neu anfangen? Was habe ich auch noch zu verlieren, wo ich doch schon alles verloren habe.

Ich bin nun für nichts und niemanden mehr verantwortlich, ich habe nichts mehr, außer meiner Wohnung und meinem Auto und ich kann eigentlich überall sein und auch überall arbeiten, ich kann zum Beispiel für Geld kochen, ich kann super organisieren und planen und ich kann schreiben. Ich bin ein fast komplett freier Mensch! (niemand ist frei, by the way – aber das ist ein anderes Thema)

Ich sauge tief die warme, würzige Spätsommerluft und die kommenden Ideen ein und feiere mein neues Ich. Mein selbstbewusstes Ich. Das Ganze hier, das ganze Leben bisher, das soll mir erstmal irgendjemand nachmachen.

negativ:

Ich habe kein fettes Konto, kein Haus, kein beeindruckendes Auto, keine Kinder und keinen Hund, kein IPhone und keine Gucci-Bag. Ich habe bisher nichts erreicht bzw. alles, was wir erreicht haben, wurde vaporisiert.

positiv:

Ich habe auch keine Verpflichtungen, Verantwortung und keine Verbindlichkeiten, ich habe genau dieses Joch nicht. Dankbarkeit. Und so schnell werde ich mich nicht mehr in dieses Joch begeben.

Hunger!

Langsam bekomme ich richtig schlimmen Hunger. Und Hunger macht böse.

Hangry!

Aber es ist Nebensaison, alle Trattorias unterwegs in den Apenninen sind geschlossen. Also fahre ich weiter, irgendwas wird sich schon ergeben.

Mit den Apenninen habe ich auch die Grenze zurück zur Emilia Romagna überquert.

An einer Kurve finde ich eine kleine Trattoria. Ich parke und steige aus.

Ich sehe schon ein paar ältere italienische Herren um die 70, die mich neugierig mustern. Ich trete ein und grüße freundlich. Hinter dem Tresen steht ein Herr, ebenfalls um die 70. Ich frage, ob sie etwas zu essen für mich haben. Sie haben nur Panini.  Also bestelle ich mir eins mit Prosciutto und einen Cappuccino.

Der Herr geht zu einer älteren Dame, die an einem Tisch im Hintergrund sitzt. Gemeinsam verschwinden sie in der Küche und bereiten das Panini zu. Oh Gott, das ist so rührend. Ich möchte schon helfend zur Seite springen und ihnen das Tablett und die Tasse abnehmen. Aber sie sind stolz und stur. Schon wieder so ein Laden, der nur von älteren Menschen geführt wird.

Ich beiße in dieses wunderbare weiche Brot, ich habe selten so ein flaumig weiches Weißbrot gegessen. Und in der Mitte der Parmaschinken. Eigentlich sind es nur zwei Scheiben Weißbrot mit Parmaschinken. Aber in seiner Simplizität ist das Panini perfekt. Fantastisch.

Draußen scheint die Sonne und ich beobachte das ganz normale italienische Leben, denn ständig tritt irgendjemand durch die Tür, redet mit dem älteren Paar, Dinge passieren.

Emilia Romagna

Aber ja nun, ich muss weiter. Ich darf der Müdigkeit keine Chance geben. Eine weitere Club Mate findet ihren Weg nach vorn zu mir ins Auto und begleitet mich hinunter ins Tal, in die große Ebene der Emilia Romagna. Hinter den Apenninen in der Ebene ist die Luft nun leicht diesig und nicht mehr so klar, denn pünktlich zum Mittag bricht das Licht und wird milchig.

Ich passiere Orte wie Parma, Piacenza und Milano. Und ich habe keine Zeit, diese Orte zu genießen! Verdammt. Das kommt auf die To Do Liste für die nächste Reise!

Ich fahre auf einer Umgehungsstraße um Mailand herum. Mailand ist riesig und hat sogar Hochhäuser im Zentrum, aber ich kann mich nicht so richtig darauf konzentrieren, da ich in einem Gewirr aus Kreisverkehren gefangen bin. Krampfhaft versuche ich die Mautstraßen und Autobahnen zu umgehen, Google Maps hilft mir dabei ausgezeichnet. Auf der ganzen Reisestrecke ist Mailand scheinbar die erste „moderne“ Stadt. Verdammt. Diese Stadt kommt auch noch auf die Liste.

Comer See

An Mailand vorbei geht es nun in Richtung Como, der Comer See ist das erste Mal ausgeschildert. Eigentlich sollte ich doch die Alpen langsam sehen, aber die Luft ist zu diesig. Ein staubiger Film liegt über der ganzen Gegend.

Und ich bin langsam durch, fertig und kaputt. Ich bin schrecklich müde und muss aufs Klo. Und ich habe noch eine Stunde Fahrt vor mir.

Aber, nach 6 h Fahrt ist das nur noch Pipifax. Ich nähere mich einem Tunnel, durchfahre den Tunnel und dann sowas.

Ich schaue auf den Comer See und bin sprachlos. Warum ist in diesem Land alles so wunderschön? Ich kann nicht anhalten, denn da ist kaum ein Parkplatz. Hinter mir drückt barbarisch der Feierabendverkehr. Ich bin jetzt langsam zu lahm dafür, ständig 60 km/h in den Kurven zu fahren. In einem wahnsinnigen Manöver vollbremse ich auf einem Parkplatz und komme endlich dazu Bilder zu machen.

Dann geht es weiter, eine schlängelige und enge Straße immer direkt am Ufer entlang. Busse, LKWs und Ferraris drücken sich durch enge Gassen, manchmal reguliert durch Ampeln. Und ich bin einfach zu langsam. Ich kann nicht gleichzeitig auf die Straße und die Schönheit achten.

Endlich bin ich dann irgendwann da, in meinem heutigen Hotel direkt am Comer See, der

Villa Marie in Tremezzo

Herzlich werde ich willkommen geheißen und in mein Zimmer geführt. Das Hotel ist komplett im Familienbetrieb. Es ist klein, kuschlig und warm und das Beste, was mir nach der Nacht auf dem Fährenfußboden passieren kann.

Das ist eine sehr wichtige Erfahrung, die ich gemacht habe. Die schönsten Unterkünfte waren die, die im Familienbetrieb geführt wurden. Das Frühstück war stets wunderbar und man hatte keine Conviniencefood-Massenabfertigung.

Abendessen

Der Hunger treibt mich noch mal vor die Tür, da es im Hotel leider kein Restaurant gibt. So habe ich doch noch etwas Zeit, diese unglaubliche Landschaft in mich aufzunehmen. Außerdem sagt der Wetterbericht für morgen Regen voraus, also muss ich heute wenigstens noch ein paar Fotos machen.

Nach zehn Minuten zu Fuß finde ich im Nachbarort direkt an der Uferpromenade des Comer Sees ein Restaurant, bestelle mir Bruschetta mit Tomaten und Burrata und aus Versehen Lasagne Bolognese.

Ich wollte eigentlich Canneloni mit Spinat und Ricotta bestellen, jedoch hat mich die biestige Kellnerin irritiert. Während ich sie nach einem freien Tisch für eine Person fragte, musterte sie mich von oben nach unten und dann nach oben. Scheinbar passe ich nicht in ihr Style-Buch und sehe unwürdig aus, liederlich quasi.

Merke!

Also mache ich dieses Memo an mich selbst: gehe nie wieder zu den biestigen Weibern, die scheinbar alles wissen, sondern gehe zu den freundlichen Kellnern, die kümmern sich wenigstens nett um dich. Man muss sie ja nicht heiraten oder Freundschaften schließen, aber wenn ich schon Geld für etwas bezahle, sollten die Leute wenigstens nett zu mir sein. Habe ich auch so im Catering gemacht. Ist doch logisch.

Generell gilt, sei freundlich, immer, zu jedem!

Aber ich bin zu kaputt für Widerstand und trinke meinen Rotwein. Am Nachbartisch sitzt ein älterer Herr um die 70, welcher auch nicht in ihr Style-Buch passt, daher proste ich ihm zu, wir müssen beide lachen. Er isst Miesmuscheln und Spaghetti Aglio et Olio und trinkt genau so viel Rotwein wie ich. Sympathisch.

Nach dem Essen trabe ich völlig fertig zurück ins Hotel und falle einfach ins Bett. 20:00 Uhr sind meine Lichter aus, aber nicht die vom Hotel Bazzoni, an welchem ich auf dem Rückweg vorbei komme.