Die Phasen der Trauer neu definiert: Warum die tiefe Trauer um den Ehemann oft erst nach Monaten kommt

Die Phasen der Trauer neu definiert: Warum der wirkliche Absturz oft erst nach Monaten kommt

von | Dez. 4, 2025

Die Beerdigung ist organisiert, der Papierkram erledigt, du bist zurück im Job und alle sagen: „Wahnsinn, wie stark du bist.“ Doch dann, Monate später, wenn eigentlich alles „besser“ sein sollte, brichst du plötzlich im Supermarkt zusammen, weil sein Lieblingsjoghurt im Angebot ist. 

Dieser Artikel räumt mit dem veralteten Stufenmodell der Phasen der Trauer auf und zeigt dir, was in deinem Körper wirklich passiert. Wir tauchen tief in die Neurobiologie ein – von Hormon-Cocktails, die dich erst funktionieren lassen, bis zum „biologischen Kater“, der oft erst nach drei bis sechs Monaten einsetzt. Du erfährst, warum „Wellen“ keine Rückschritte sind, sondern notwendige Updates deines Gehirns, und warum sich Erschöpfung manchmal anfühlt wie eine Grippe.

Wenn sich die Trauer erstmal gar nicht so schlimm anfĂĽhlt

Es ist Dienstagmorgen, 10:00 Uhr. Das Meeting läuft. Du sitzt aufmerksam da, machst dir Notizen, nickst an den richtigen Stellen und gibst kluge Antworten. Sogar gelächelt hast du, als der Kollege einen Witz über den kaputten Drucker gemacht hat. Ja, äußerlich bist du die kompetente Geschäftsfrau, die Kollegin, die, die „es“ im Griff hat. Die Witwe, die so bewundernswert schnell wieder auf die Beine gekommen ist.

Aber innerlich? Innerlich fühlst du dich seltsam taub. Oder, und das ist fast noch verwirrender: Du fühlst dich eigentlich okay. Fast schon zu okay. Gerade hast du noch prima funktioniert, als der Bestatter nach der Urne fragte. In dem Moment, als die Bankkonten umgeschrieben wurden, hast du auch noch funktioniert. Du hast funktioniert, als du die Kinder (falls du welche hast) getröstet hast.

Und dann, vielleicht drei oder vier Monate später, an einem ganz normalen Donnerstagabend, sitzt du in deinem Auto in der Einfahrt und kannst den Motor nicht ausschalten. Deine Hände zittern. Eine Welle von Schmerz, so scharf und brutal wie am ersten Tag, rollt über dich hinweg. Du fragst dich: „Was stimmt nicht mit mir? Ich dachte, ich bin schon weiter? Warum jetzt?“

Die gesellschaftliche Erwartung – und leider auch oft unser eigenes Verständnis – orientiert sich an veralteten Modellen. Wir denken, die Phasen der Trauer verlaufen linear: Erst der Schock, dann das Verhandeln, die Wut, die Depression, und zack – Akzeptanz. Wir erwarten, dass der Schmerz am Anfang am schlimmsten ist und dann langsam, Tag für Tag, abebbt.

Gegen die Wand

Aber wenn du dich auch gerade fühlst, als würdest du Monate nach dem Verlust plötzlich gegen eine Wand fahren, dann habe ich eine wichtige Nachricht für dich: Du bildest dir das nicht ein. Du machst nichts falsch. Und vor allem: Du „rutschst“ nicht zurück.

Was du erlebst, ist keine psychologische Schwäche. Es ist eine knallharte biologische Realität. Dein Körper folgt einem Zeitplan, den dir niemand verraten hat – bis jetzt. Und ich weiß, dass in all den Büchern über Trauerbewältigung etwas ganz anderes steht.

Ich bin da über etwas spannendes gestolpert, was mich in meiner eigenen Trauerverarbeitung komplett abgeholt hat. Lass uns mal unter deine mentale Motorhaube auf deine bunten Bauklötze schauen und gucken, was da neurobiologisch eigentlich gerade bei dir los ist. Denn wenn du verstehst, dass dein Gehirn gerade einen Marathon läuft, kannst du vielleicht aufhören, dich dafür zu verurteilen, dass du aus der Puste bist.

Phase 1: Der Roboter-Modus (Woche 1 bis 8)

Warum du so gut „funktioniert“ hast

Erinnerst du dich an die ersten Wochen? Viele Frauen in meiner Community beschreiben diese Zeit wie einen Film, in dem sie die Hauptrolle spielen, aber das Drehbuch nicht kennen. Fühlst du das auch gerade? Du hast Dinge beispielsweise erledigt, die unmöglich schienen, dabei hast du übermenschliche Entscheidungen getroffen und gleichzeitig warst du ständig präsent.

Das hatte nichts damit zu tun, dass du so stark bist [sic]… sorry, dein biologisches Notstromaggregat ist nur perfekt angesprungen.

Denn in dem Moment, wo die Nachricht seines Todes in deinem Gehirn ankam, hat dein System den Alarmknopf gedrückt. Deine Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (ein Zungenbrecher, ich weiß, nennen wir es einfach dein Stress-Zentrum) startete sofort. 

die erste Phase der Trauer neu interpretiert

Dein Körper wurde geflutet mit einem Cocktail aus:

  • Adrenalin: FĂĽr den Fokus. Damit du die Beerdigung planen kannst, ohne zusammenzubrechen.
  • Cortisol: Um Energie zu mobilisieren.
  • Endogenen Opioiden: Das ist körpereigenes Morphium. Dein Gehirn hat dir quasi eine biologische Narkose verpasst.

Dieser Zustand nennt sich „Mobilisierung ohne Angst“. Es ist ein hochfunktionaler Dissoziationszustand. Dein präfrontaler Cortex (der Teil, der plant und organisiert) lief auf Hochtouren, während deine emotionalen Zentren chemisch gedämpft wurden.

Mach dir keinen Kopf, denn du hast nicht „nicht gefühlt“, weil du kalt bist, sondern weil dein Gehirn wusste:

Wenn wir diesen Schmerz jetzt voll durchlassen, ĂĽberleben wir das nicht.

Also hat es dich betäubt, damit du weiterlaufen kannst.

Phase 2: Der Absturz (Monat 3 bis 4)

Wenn die Narkose nachlässt

Und hier liegt das Missverständnis, welches so viele Frauen verzweifeln lässt. Um den dritten oder vierten Monat herum passiert oft folgendes:

Das Umfeld denkt, „jetzt ist das Schlimmste vorbei“.
Die Karten hören auf zu kommen, die Anrufe werden weniger. Die Welt dreht sich weiter.

Aber biologisch passiert genau jetzt das Gegenteil. Die akute Stressreaktion lässt nach. Die körpereigenen Opioide – deine Schutzschilder – werden abgebaut. Die Narkose lässt nach.

Und plötzlich tut es weh. Richtig weh.

Es ist, als hättest du dir das Bein gebrochen, bist aber dank Schock noch zehn Kilometer gelaufen. Jetzt, wo du zur Ruhe kommst, meldet sich der Bruch.

Die zweite Trauerphase und warum die erst so richtig weh tut

Die Desillusionierungsphase

In dieser Zeit verändert sich auch deine Herzratenvariabilität (HRV). In den ersten Wochen war dein System so unter Strom, dass du quasi „eingefroren“ warst. Doch jetzt löst sich diese Bremse (der dorsale Vagus) und dein Herz ist dem emotionalen Stress ungeschützt ausgeliefert. Du fühlst dich vielleicht dünnhäutiger, reizbarer und verletzlicher als direkt nach dem Verlust.

Wissenschaftler nennen das oft die Desillusionierungsphase. Ich nenne es: Das Aufwachen. Dein Hippocampus (das Speicherzentrum im Gehirn), der vorher durch die Stresshormone quasi auf „Standby“ geschaltet war, fängt wieder an zu arbeiten. Er lässt die Erinnerungen jetzt in voller HD-Qualität zu.

Das ist der Grund, warum der leere Stuhl am Esstisch in der zweiten Trauerwoche nur eine Tatsache war, aber im vierten Monat schmerzlich dermaĂźen reinknallt, wie kaum etwas anderes. Dein Gehirn realisiert jetzt erst im Detail: Er kommt wirklich nicht wieder.

Was sich bis jetzt wie ein sehr langer Urlaub von ihm angefĂĽhlt hat, plätschert jetzt schmerzhaft in deine Realität herein. Er wird nie wieder den SchlĂĽssel in der TĂĽr umdrehen…

Das ist der Moment, in dem viele Frauen denken, sie hätten einen Rückfall. Dabei ist es eigentlich ein Fortschritt. Dein Körper ist jetzt stark genug, um den Schmerz zu fühlen, den er vorher aus Sicherheitsgründen blockieren musste.

Phase 3: Die Erschöpfung (Monat 6)

Warum bin ich so mĂĽde?

Ein halbes Jahr ist um. Eigentlich ein Meilenstein. Du solltest dich doch langsam an das neue Leben gewöhnt haben, oder? Doch warum fĂĽhlst du dich dann, als hättest du Blei in den Knochen? Warum wirst du ständig krank oder fĂĽhlst dich einfach „kränklich“? Ständig bist du so mĂĽde und hast nur noch einen Bruchteil deiner Energie von „vorher“?

Auch hier spielen die Phasen der Trauer eine biologische Karte aus, die wir oft ĂĽbersehen: Die EntzĂĽndung.

Die dritte Phase der Trauer neu erklärt

Trauer ist Schwerstarbeit für den Körper

Nach sechs Monaten Dauerstress gerät dein System in eine Art „Allostatische Überlastung“. Das ist der Preis, den du dafür zahlst, dass du so lange so tapfer „funktioniert“ hast.

Studien zeigen, dass in dieser Phase Entzündungsmarker im Blut (wie Interleukin-6) ansteigen können. Das führt zu einem Zustand, den man „Sickness Behavior“ nennt. Dein Körper verhält sich, als hättest du eine Grippe: Du willst dich zurückziehen, bist antriebslos, müde und deine Glieder sind schwer.

Dazu kommt der Schlaf. Vielleicht konntest du am Anfang vor lauter Gedankenkarussell nicht einschlafen. Jetzt, um den sechsten Monat herum, wachst du vielleicht ständig auf oder fühlst dich morgens wie gerädert, egal wie lange du geschlafen hast. Das liegt daran, dass dein Gehirn versucht, den emotionalen Verlust im Traumschlaf (REM-Schlaf) zu verarbeiten. Das geht aber auf Kosten des Tiefschlafs – genau der Schlafphase, die wir für körperliche Erholung brauchen. Du bist also nicht einfach nur „traurig“, du bist chronisch tiefschlaf-unterversorgt.

Wenn du also das Gefühl hast, du „rutschst wieder ab“: Das stimmt so überhaupt nicht. In Wirklichkeit bist du einfach grandios erschöpft. Dein Akku war sechs Monate lang im roten Bereich, und jetzt fordert der Körper sein Recht auf Pause ein. Gönn dir jetzt die Nüsse, den Spinat oder die Extra-Portion Schokolade (ernsthaft, Nervennahrung ist jetzt Medizin! Lies dir dazu mal meinen Beitrag über Ernährung in der Trauer durch), und verurteile dich nicht für Mittagsschläfchen.

Deine Trauerwelle ist kein Fehler im System, sondern ein Update

Du hast sicher auch Angst vor diesen „Trauerwellen“, die aus aus dem Nichts kommen, dich in den unmöglichsten Situationen mitreiĂźen und dich hilflos nach Luft schnappen lassen. Wenn du denkst „Hört das denn jemals auf?“

Doch die neuesten Erkenntnisse sagen, dass diese Wellen nicht dazu da sind, dich zu quälen sondern dass sie eher Wachstumsschmerz sind.

Warum ist das so?

Dein Gehirn ist eine Vorhersage-Maschine. Es liebt Muster. Jahrelang war deine Vorhersage: „Ich komme nach Hause = Mein Partner ist da.“ Oder: „Ich rufe an = Er geht ran.“

Jetzt ist die Realität anders.

Vorhersage: Er ist da.

Realität: Er ist weg.

Das erzeugt im Gehirn einen massiven Fehlercode, einen sogenannten „Prediction Error“.

Jede Welle, jeder Schmerzanfall, den du erlebst, wenn du sein Parfüm riechst oder sein Lieblingslied hörst, ist im Grunde ein Software-Update. Dein Gehirn testet die Realität: „Ist er wirklich weg?“ – Realität: „Ja.“ – Ergebnis: Schmerz.

Aber genau durch diesen Schmerz lernt das neuronale Netzwerk. Es muss diese schmerzhafte „Fehlermeldung“ tausendfach erleben, um die interne Landkarte deiner Welt neu zu zeichnen. Eine Welt, in der du immer noch existierst, aber er nicht mehr physisch anwesend ist.

Die Wellen sind also keine Rückschritte in die Phasen der Trauer, sondern sind eher der Beweis dafür, dass dein Gehirn mit Hochdruck arbeitet. Bei jeder Trauerwelle versucht es, die Lücke zwischen deinem Herzen (das ihn noch spürt) und der Realität (die leer ist) zu schließen. 

Trauerwellen sind die Geburtswehen deines Leben 2.0

Phase 4: Dein neues Ich im Leben 2.0 entsteht (Das erste Jahr und danach)

Wer bin ich jetzt?

Kurz nach dem ersten Jahrestag passiert oft etwas Stilles, aber Tiefgreifendes. Der akute, schreiende Schmerz weicht oft einer tieferen, ruhigeren Schwere.

Neurowissenschaftlich gesehen beginnt hier das große „Re-Mapping“. In unserem Gehirn gibt es sogenannte Grid-Zellen, die uns helfen, uns im Raum zu orientieren. Spannenderweise nutzen wir ähnliche Mechanismen, um uns in unseren sozialen Beziehungen zu verorten. Dein Partner war ein fixer Bezugspunkt auf deiner inneren Landkarte. Wie der Nordstern.

Wenn dieser Stern erlischt, muss das Gehirn die komplette Karte neu zeichnen. Das ist metabolisch extrem aufwendig.

Warum es fĂĽr die Phase vier der Trauer keine Zeitangabe gibt

Gleichzeitig arbeitet dein „Default Mode Network“ (das Ruhezustands-Netzwerk im Gehirn, das aktiv ist, wenn wir über uns selbst nachdenken) daran, deine Identität neu zu formen.

Vom „Wir“ zum „Ich“

Du veränderst dich still und leise von der „Ehefrau“ zur „Witwe“ (ein Wort, das viele von uns hassen, ich weiß) hin zu deiner Version 2.0 also zur Frau, die ihr Leben neu gestaltet. 

Dieses zweite Jahr und ja, auch die folgenden Jahre sind nicht dazu da, um „darüber hinwegzukommen“. Es ist dazu da, dein neuronales GPS neu zu kalibrieren.

Und das dauert so lange, wie es dauert.

Das ist eine gute Nachricht

Sicherlich denkst du dir jetzt gerade, während du das liest: „Puh, Dana, das klingt anstrengend.“ Ist es auch. Aber es ist auch unglaublich entlastend.

Wenn wir erst mal verstehen, wie die Phasen der Trauer wirklich ablaufen, können wir aufhören, gegen unsere eigene Biologie zu kämpfen und wir können endlich aufhören, uns innerlich antreiben zu lassen oder uns vor anderen klein zu machen.

ein neuer Blickwinkel auf deine aktuellen Trauerphasen
  • Der Absturz in Monat vier? Das war kein Versagen, sondern das Ende der Betäubung.
  • Die Erschöpfung in Monat sechs? Das ist keine Depression, sondern eine körperliche EntzĂĽndungsreaktion auf Dauerstress.
  • Und die Trauerwellen? Die sind kein RĂĽckschritt, sondern notwendige Updates fĂĽr deine neue Realität

 

Du bist nicht kaputt, du wirst renoviert

Dein Körper leistet gerade Unmenschliches. Du führst vielleicht ein Unternehmen weiter, ziehst Kinder groß oder hältst einfach nur deinen Alltag zusammen, während dein Gehirn im Hintergrund die komplette Realität neu verknispelt. Würdest du dir das ganze Drama mal ein bisschen mit Abstand anschauen, würdest du endlich begreifen, was für einen Knochenjob gerade dein System hat. Und dass du eine verdammte Kämpferin bist und nicht zu langsam, zu schwach oder ein anderweitiges Opfer.

Das verdient verdammt noch mal Respekt.

Es ist okay, wenn du nach sechs Monaten noch nicht „fertig“ bist. Es gibt kein „Fertig“. In der Trauer gibt nur ein Weitergehen, ein Anderswerden, ein Integrieren. Und das geht manchmal nur in winzigkleinen Minischritten.

Dein Verlust wird nicht kleiner, aber dein Leben wird um den Verlust herum wieder größer werden. Und ja, irgendwann kann dieser Verlust eine weitere Geschichte deines Lebens werden, welche du mit einem liebevollen Lächeln und zarten Gedanken an deinen lieben Mann anderen erzählst. Ohne dass die Herzwunde aufreißt.

Wenn du merkst, dass du in diesem Prozess gerade feststeckst, dass die Erschöpfung dich auffrisst oder du einfach jemanden brauchst, der dir sagt: „Hey, das ist normal, trink erst mal einen Kaffee“, dann bist du nicht allein.

Ich habe genau für diese Momente – wenn die Nacht zu lang ist oder der Tag zu grau – meinen Champagner-Newsletter entwickelt.

Er ist wie diese eine gute Freundin, die mit einer Flasche kaltem WeiĂźwein genau im richtigen Moment an der TĂĽr klingelt. Nur eben digital in deinem Postfach. Ein Newsletter, welcher dir pragmatische Tipps, ein bisschen Mut und manchmal auch einfach nur ein virtuelles Augenzwinkern schickt, wenn der Wahnsinn wieder Ăśberhand nimmt.

Willst du Werkzeuge an die Hand bekommen, um mit dieser biologischen Achterbahn besser umzugehen?

Dann melde dich für meinen „Champagner-Newsletter“ an. 

Ich teile dort Dinge mit dir, die ich hier auf dem Blog nicht schreibe – persönlich, direkt und immer mit dem Ziel, dir ein kleines bisschen Licht in den Tag zu zaubern.