Neues aus der Reha. Erster Eintrag. Die bizarre Welt der Mitpatienten und Glotzer und was das mit meiner Anpassungsstörung zu tun hat.

Reha – die Glotzer

von | Okt 7, 2020

Die ersten Berichte aus der Reha. Ich hadere sehr mit den Glotzern hier auf dem Land. Und meine Anpassungstörung macht das nicht schöner. In diesem Beitrag geht es um die ersten Erfahrungen in der Zeit meines Aufenthalts in der Rehaklinik.

Anpassungsstörung

Die Ärzte sagen, dass das, was ich habe, sich Anpassungsstörung und Depression nennt.

Eine Anpassungsstörung ist eine Reaktion auf ein einmaliges oder ein fortbestehendes belastendes Lebensereignis, die sich in negativen Veränderungen des Gemütszustandes (affektive Symptome) oder auch in Störungen des Sozialverhaltens (zwischenmenschlich) ausdrücken kann.

https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org

Wenn ich ehrlich bin, ich habe keine Depression, denn ich kann mich schon am Leben erfreuen, aber irgendwie müssen die Ärzte das schließlich in ihrem Katalog definieren, was ich habe.

Ich bin halt nur komplett durch das Komplettversagen meines Schicksals wasted und furchtbar traurig, wie dass alles gelaufen ist und wie sinnlos jeder meiner/unserer Kämpfe war und ich habe deswegen gerade keine Lust mehr zu kämpfen und auch überhaupt keine Energie.

Meine Konzentration reicht gerade mal für 4 Stunden und entschwindet dann auf Nimmerwiedersehen. So kann man nicht arbeiten.

Das kann niemand verstehen, der noch nicht da war, wo ich gerade bin. „es geht immer weiter“, „da muss man halt durch“ phrasen die weißen Menschen Sätze von allen Seiten, sitzen im Kreise ihrer Lieben, die alle noch vollzählig sind, und mampfen Kuchen in sich rein.

Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten!

der sprechende Pinguin

Alle Anstrengungen, die ich in meinem Leben hingelegt habe, waren für die Katz. Alle sind tot. Auch die Katz. Ich bin allein. Firma ist weg. Ich weiß nicht, was ich in meiner Zukunft machen soll, die im Gegensatz zu Steffens Zukunft ewig erscheint. Ich muss den ganzen Dreck noch mal von vorne anfangen und habe keine Lust mehr, weil ich weiß, wie ein konventionelles Leben ausgeht: Stress, Krankheit, Tod. Das einzige was ich sicher weiß, ist, dass ich genau das nicht mehr will.

Denn alles was nicht mit einem konventionellen Leben zu tun hat, macht mich glücklich: meine Zeit mit mir selbst, meine Kreativität, mein Humor und meine Nerdigkeit. Ich brauch die Welt da draußen nicht. Ich kann mich komplett selbst beschäftigen. Jetzt gilt es nur herauszufinden, wie ich das in mein neues Leben integrieren kann. Und dafür brauche ich die Hilfe anderer.

Und gemäß der Aussage eines lieben Freundes habe ich durch meine Nichtanpassungsfähigkeit die nächste Stufe der Evolution geschafft.

Eine Anpassungs-„Schwäche“ kann als Abkopplungs-„Stärke“ beschrieben werden und nur abgekoppelte Systeme stabilisieren sich in Variationen und Selektionen.

ein Freund

Hey Schicksal, droppe doch einfach statt der üblichen Scheiße mal die 500.000 EUR auf mich (mehr brauch ich nicht, das habe ich bereits durchkalkuliert) und ich werde für immer aus aller Leute Sichtfeld verschwinden. Ihr werdet nie wieder etwas von mir hören und ich werde glücklich mit mir selbst sein, bis an mein Lebensende.

Aber laut dem Schein des Arztes muss ich mich anpassen, denn irgendwann soll ich wieder arbeiten gehen und ein vollwertiges Mitglied dieser Gesellschaft werden, in welche ich nicht mehr hineingehöre, hineingehören will und die ich nicht ertrage. Denn mein größter Albtraum ist: irgendwohin arbeiten gehen zu müssen und tagtäglich das ungefilterte und substanzlose Geplapper der Mitmenschen ertragen zu müssen.

(werbung) 

Und wer sich auch so gerne wie ich selbst am Schopfe aus der Scheiße zieht, dem sei dieses Buch wärmstens ans Herz gelegt.

Wenn du auch die „Blabla für Dummies“-Reihe so liebst wie ich, kannst du auch gleich deine Psyche genau so aufräumen:

Und wie es der Teufel will, hat das Universum mir für meine nächste Challenge zur Reintegration in das normale Leben genau ein Potpourri all dieser Menschentypen zusammengestellt, mit denen ich mich nicht assimilieren kann, die ich euch gerne in den folgenden Beiträgen vorstellen werde:

(Hinweis: Einschätzung ist mit Stand heute, denn aktuell bin ich in der Quarantäne hier im Haus und sehe Menschen nur auf dem Weg zum getakteten Futtertrog)

Glotzer

Man merkt sofort, dass man Berlin verlässt daran, dass plötzlich alle wieder glotzen. Berliner glotzen nicht, den mit der Tätigkeit des Glotzens verraten sich lediglich die Zugezogenen.

  • Das Haus brennt? Egal.
  • Mensch im Winter in Radlerhosen und mit einem Einhorn auf den Schultern? Egal.

Doch kaum verlässt man die Berliner Stadtgrenze, wird alles schleichend anders. Das andere Deutschland beginnt. Die Glotzintensität nimmt merklich zu.

Glotzen: mit weit aufgerissenen oder hervortretenden Augen [und dummer Miene] starren

umgangssprachlich

Und umso kleiner die Besiedlungen werden, umso schlimmer wird geglotzt:

Schon aus 2000 m Entfernung spürt der gemeine Dorfmensch die Ankunft eines fremden PKW-Kennzeichen instinktiv. Seit Jahrmillionen versucht der rechtmäßig hier Erstgeborene sein Gegenüber totzuglotzen. Auf den Laubbläser gestützt, über den Zaun späend, wittert der Nicht-Berliner Fremdmenschen meilenweit.

Sobald der Fremd-Auto-Fahrer in Blickweite des Dorfmenschen ist, wird geglotzt, was die 5 Dioptrien hergeben (jetzt bloß nicht mit der dicken Brille in die Sonne gucken).

Wer ist das? Was macht der hier? Warum fährt der Berliner hier lang? Hat der kein Zuhause? Der fährt doch viel zu schnell? Haha, dieser blöde Berliner Idiot kennt das Schlagloch hinter dem Ortsschild nicht und fährt volle Emme rein, haha, das dumme Rindvieh!

Tiefe Genugtuung durchströmt den Glotzer, wenn er es dem Fremdling mal wieder richtig gezeigt hat. Jetzt kann er wieder reingehen und die Nagelschere holen, um den Rasen am Zaun zu Ende zu stutzen…

Und wie es der Teufel will: hier in der Reha glotzen alle!

Als ich ankam, hatte es direkt so ein bisschen Indien-Feeling. Aber in Indien gehen sie wenigstens zur Seite, tragen deinen Koffer oder kochen etwas Leckeres. Die Glotzer hier sind vollkommen unnütz und glotzen nur.

Wer als 1,80 m Frau in einem Dorf voller 1,60 m großer Erdnuckel noch größer als diese geworden ist, kennt das schon: Man gewöhnt sich an das Geglotze und fängt an, über das Elend um sich herum hinwegzublicken und ignoriert dabei einfach alle. Dennoch ist der Radar ständig an, ob nicht zufällig doch noch ein interessanter Mensch dabei ist.

Da ich jedoch erst einen Tag hier bin und coronabedingt noch unter Quarantäne in meinem Zimmerchen hocke, bevor ich ab morgen freigeschalten werde, habe ich bis jetzt noch keinen interessanten Menschen auf dem Weg zum Futtertrog wahrgenommen. Vielleicht ändert sich das ja noch.

Also bahne ich mir geschwind den Weg zum Assietten-Ausgabeschalter durch all die Erdnuckel und versuche, so gut wie es geht, diese auf dem Weg dorthin zu ignorieren.

Jedoch haben die Glotzer einen Trick: durch ein keck hervorgepresstes „Mahlzeit“ zwingen sie dich mit einer Antwort darauf zu reagieren.

Schlau ist es daher, hinter ihnen herzuschleichen, so dass sie dich nicht bemerken. Dabei muss man jedoch deren dummes Geplapper ertragen. Denn sie plappern ständig. Alles, was die wobbelige graue Masse zwischen deren Ohren generiert und hervorpresst, wird ungefiltert aus dem Mund geblubbert. Ohne Nachdenken, ohne Reflektion, ohne Unterlass. So als würde sich das Hirn selbst für diesen Schmutz schämen und müsste diesen ständig auswerfen.

to be continued…

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