Eine Nacht am Gardasee

Gardasee

von | Jun 9, 2021

Mir reichts endgültig mit Bergen. Ich möchte fast sagen: ein für alle Mal. Also fahre ich heute mit meinem kleinen Eisenschwein zum Gardasee. Sehnsuchtsort der Deutschen, hier fängt das echte Italien an, aber die Italiener verstehen wenigstens noch deutsch.

Es ist kalt in der Nacht. 9 Grad sagt das Internet. Ich musste die Decke meines nicht vorhandenen Bettnachbars als Zweitdecke benutzen. Es hat auch Vorteile, sag ich doch. Draußen ist es nur noch dunkel, der Blick auf den bewaldeten Berghang gegenüber, der sich direkt vor meinem Fenster wie eine grüne Tapete ausmacht, macht es nicht besser. Ich mag ja den Herbst und Dunkelheit, aber nicht, wenn man wie in diesem Jahr monatelang auf den Frühling gewartet hat, der sich dann endlich Ende Mai einmal dazu entschlossen hat, zu beginnen.

Vorsichtig schaue ich auf die Wettervorhersage für den Gardasee, meinem heutigen Ziel. 26 Grad! Wie in Berlin! Grund genug, schon jetzt das Sommerkleid anzuziehen und zum Frühstückstisch zu eilen. Wider Erwarten sitzen heute schon 7:30 Uhr Menschen herum und schauen mich irritiert aus ihren Vollkontaktsuperwasserabweisungsjacken, die auch noch atmungsaktiv sind und den Sicherheitswanderschuhen, die mit dem extra Grip, an. Hastig schließe ich mir den guten Kaffee an die Venen an und verdrücke ein Croissant mit Marmelade und einen Nutellaring. Ich adaptiere schnell das italienische Frühstück und plane die heutige Autoroute.

Belluno und Bassano del Grappa

Obwohl der Gardasee westlich von mir liegt, fahre ich Richtung Osten. Schon bei meiner letzten Italientour wollte ich nach Belluno und habe es nicht geschafft. Das ist das Gute an Dingen, die man wirklich erleben soll, man bekommt dafür eine zweite Chance. Also sofort ergreifen. Ausschecken und ins Auto springen, und als unangenehmer Zeitgenosse und Frühaufsteher schon 08:30 Uhr durchstarten.

Es ist wie schon erwähnt scheißkalt und grau. Die Fußheizung funktioniert. Ein weiteres Mal quäle ich das arme Auto einen Pass hinauf auf dessen höchster Höhe die ihn eingrenzenden Berge die Wolken anspießen, so dass es auch noch anfängt zu regnen. Schwer fällt der Regen auf traumhafte Bergwiesen, schemenhaft erkenne ich links und rechts riesige Berge. Die touristisch fantastisch erschlossenen Almen sind menschenleer. Wenigstens nerven mich so keine anderen Fahrer hinter mir und glaubt mir, ich fahre zügig.

Irgend verlasse ich endlich die Berge, schieße dafür durch imposante Täler mit breiten bergblauen Flüssen und schier endlose Tunnel. Dann wird es endlich flach und es wird Italien. Keine Geranienumsäumte Balkone mehr sondern mein geliebtes Italien. Selbst das Bordthermometer schlägt Richtung Italien aus. Endlich 20 Grad!

Ebenen und italienische Straßen, Orte mit geraden Straßen, Cafés mit Espresso, Geschäften, Interior-Design-Läden und Pizzerien. Love. Und dann kommt da

Bassano del Grappa

Hier war Hemingway im ersten Weltkrieg beim Roten Kreuz und zwei seiner größten Romane wurden von diesem Ort und Norditalien geprägt. Das dazugehörige Museum hat sogar heute schon geöffnet und liegt wunderbar an der Brenta, in die ich mich auch schon vor zwei Jahren verliebt habe. Es duftet wunderbar nach Süden, ich kann es nicht definieren, denn da bin ich nicht gut drin. Ich fahre durch schmale Straßen mit hohen Zypressen, hinter gigantischen Hecken stehen Villen, wo sofort Gärtner hervorgesprungen kommen, nur weil ich parke und meine Wasserflasche hole.

Das Museum selbst ist sehr interessant, aber wer will bei all der Schönheit da draußen um einen herum schon Bilder aus wie immer sinnlosen Kriegen sehen. Kriege um Ländergrenzen, die um Engstirnigkeit herumgebaut wurden. Auf den Schwarzweißaufnahmen sieht man Berge, Höhenmeter, tausende sinnlos verstorbene schöne Männer, sinnlos hingemäht in der Blüte ihres Lebens für komische alte Sesselpupser und deren Befindlichkeiten und Nationalitätsscheiße.

Wieder sieht man: Menschen sind dumm und lernen es einfach nicht, lasst alle Hoffnung fahren und lebe dein Leben nach deiner Fasson, ohne andere damit zu verletzen, solange du es kannst. Du hast nur dieses eine Leben, und schneller als es einem lieb ist, wird es durch äußere Umstände einfach so umgewirbelt. Kontrolle ist eine Illusion. Eigentum kann dir niemals Sicherheit verschaffen, nur Angst. Das Einzige was hilft, ist einfach machen, leben und das Leben genießen, denn es ist schneller vorbei, als du denkst.

Amen

Schio

Weiter auf der Fahrt Richtung Gardasee passiere ich Schio. Es ist Mittag, ich bin hungrig, ein mir naher Mensch hat mir eine Nachricht geschickt, die mich positiv durchwirbelt. Ich muss erstmal stoppen.

Das Café atmet den von mir so vergötterten Jugendstil aus, die Bedienung ist unsagbar freundlich und zu meinem Latte Macchiato bekomme ich ein Panini mit Speck, Mozarella, Mascarpone und Rucola.

Das ist für mich Italien. Ich bin jetzt mittendrin und angekommen. Mein Herz geht wieder auf.

Gestärkt und glücklich kann ich nun Richtung Gardasee weiterfahren.

Café il Teatro civico

Ich mag es ja raffelig und morbide, und dieses Städtchen ist dafür ideal und irgendwann einen zweiten Blick wert. Es ist uralt, hatte jedoch seine Blütezeit Mitte des 19. Jahrhunderts und der Stoffindustrie. Der Lack ist definitiv ab, aber unter der Patina sehe ich wunderschöne Bauten aus allen Jahrhunderten und ein kleines verträumtes Café weckt mein Interesse.

Es befindet sich an der Via Petro Maraschin und ist nicht zu übersehen. Ich kehre spontan an einem der unzähligen Kreisverkehre um und beglückwünsche mich für meine Spontanität, den Impulsen zu folgen. Das Einzige, was man eigentlich können müssen sollte.

SS46

Nun führt mich die Strada Statale wiedermal einen Pass hoch. Ich habe es langsam echt satt. Nur noch halbherzig dreht mein Arm den Lenker nach links und rechts. Und dann passiere ich auch noch die Grenze nach Südtirol/Trentino. Genau in diesem Moment tauchen wieder Deutsche auf und Motorradfahrer. Hier verläuft also die Schnitzelgrenze. Ich lasse sie ziehen und genieße die faszinierende Abfahrt nach unten Richtung Gardasee. Besonders beeindrucken hierbei ist eine Kapelle für den Eremiten San Colombino, die direkt in die Felswand hineingehauen ist und danach gleich eine alte Festung. So viele Eindrücke auf einen Haufen, aber ich habe keine Lust darauf, ich will ins Hotel.

Das Hotel

Das Auto ist schnell auf einem Parkplatz abgeparkt und ich werde unfassbar herzlich von Daniel, so heißt der Angestellte, werde ich später noch erfahren, empfangen. Ich bekomme ein Upgrade meines gebuchten Zimmers, einfach so. Das Hotel wurde vor kurzem saniert, alles riecht noch neu. Das Zimmer ist gigantisch und hell und endlich mit dem Kopf nach Süden ausgerichtet. Vastu sagt, heute werde ich gut schlafen.

Im Innenhof liegt ein Pool, es ist unfassbar idyllisch. Aber erstmal noch zum Gardasee.

Das Hotel heißt:

Hotel Epoche Zanella

Via Scipio Sighele, 1, 38069 Nago-Torbole TN

Fragt nach Daniel, er ist ein fantastischer Gastgeber und ich als alleinreisende Frau habe mich wohlbehütet und sehr gut aufgehoben gefühlt. 

Besonders, wenn man merkt, dass die anderen Hotelgäste so gar nichts mit einem anfangen können, ist Gastfreundschaft und Höflichkeit sowie Respekt eine universelle Sprache.

Gardasee

Ich schnappe mein Rad aus dem Auto und begebe mich auf den Weg nach unten. Nach unten! 180 Höhenmeter sind runterzus ein Klacks, denn ich muss nur bremsen. Aber mit jedem Meter verfluche ich schon den Rückweg.

Kennst du das auch, dass wenn du weißt, was noch auf dich zukommen wird, du an nichts anderes mehr denken kannst?

Unten mit wehenden Rockschößen angekommen, beäugen mich all die Radfahrprofis im Vollkontaktfummel. „Wie fährt die denn rum?“. Überall Gruppen oder Paare. Kein einziger Einzelmensch wie ich. Nirgends. Die Chancen auf einen netten Luigi oder so schwinden. Hier ist alles perfekt und Fehler im Plan wie ich sind darin nicht vorgesehen. Scheiß drauf. Ich gönn mir am Hafen einen schönen Aperol, bzw. zwei. Eine Platte mit Leckereien gibt es umsonst dazu und das für 4 EUR. Damals an der Frauenkirche hat der 8 EUR gekostet, 4 EUR für den Aperol und 4 EUR für den Prosecco, klar, ist ja ein Mixgetränk…

Ich versuche den Schmerz des kommenden Nachhausewegs in mir zu ertränken. Einen Kilometer steil bergauf fahren zu müssen ist für mich purer Hass.

Doch welch Wunder, Google schlägt mir eine Alternative vor. Ist zwar 4 km länger, hat aber weniger Steigung bzw. 50 m weniger Höhenmeter. Hoffnung keimt auf und ich bestelle mir noch einen Aperol Spritz. 

Das packe ich!

Der Rückweg

Malerisch geht es sanft bergan durch Weinberge, ein Castello dräut malerisch am Horizont. Doch langsam muss ich mich auf einer weiteren Straße ohne Radweg einordnen. So weit so gut.

Waren 12 km schon immer so lang? Bin ich fett geworden? Weiter geht es. Jetzt schraubt sich die Straße langsam nach oben, immer höher. Natürlich ohne Radweg oder Seitenstreifen. Die Straße wird schmaler, LKWs donnern hinter und vor mir. Links ist Steilhang nach oben, rechts ist Steilhang nach unten. Ein Creszendo aus Schmerz und Lärm umfängt mich. So ein Gefühl hatte ich lange nicht mehr.

Mittlerweile pumpe ich wie ein dicker Käfer. Mein Kopf ist puterrot. Ich hangele mich von Mininotbucht zu Mininotbucht. Mein Herz ist mittlerweile im Hirn verortet, so wie dass pumpt. Mein Hirnschmalz wabert im Takt des Pulses.

Wenn ich jetzt kollabiere, fährt mich wahlweise ein LKW tot oder ich stürze halt in den Abgrund. Niemand wird mich hier je finden, denn keiner weiß, wo ich bin. Der strenge Geruch meines Kadavers wird nur noch von dem lieblichen Olivenblütenduft übertüncht.

Das darf nicht passieren! Eisern verbeiße ich, ich muss ja weiter. Natürlich wird mich niemand retten und jammern hilft auch nichts. Kenn ich schon aus meinem Leben. Jammere mal, wenn keiner da ist. Jammern ist nur für Opfer bzw. solche, die es bleiben wollen.

Prustend und pumpend komme ich endlich im Hotel an und trinke die gesamte Wasserflasche leer und geh erstmal duschen. Wenn ich genau hinhöre, höre ich es zischen.

Glücklicherweise gibt es jetzt auch Abendbrot und ich donnere mir Proteine rein. Und einen halben Liter Rotwein. Verdient.