Eine Odyssee zwischen Psychiater, Psychotherapie, Krankenkasse und Allgemeinarzt. Was man alles bei einer Krankschreibung beachten muss.

Die Krankschreibung

von | Dez 6, 2019

Wie läuft das so mit der Krankschreibung. Was erlebt man alles, wenn man sich mit Psychiater, Hausarzt und der Krankenkasse herumärgern muss. Und woher nimmt man die Energie als junge Witwe?

Der gestrige Tag begann wunderbar, die Sonne schien, die Luft war klar. Heute würde ich mich einmal aus meinem Kokon heraus begeben, denn ich musste meine Krankschreibung oder auf „deutsch“ – Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – verlängern, welche an diesem Tag endete.

In den letzten Tagen hatte ich endlich einmal Ruhe gefunden, mehr zu mir zu finden, habe Steffens Dinge sortiert, meine Wohnung ausgemistet und endlich auch einmal wieder gemalt.

07:30 Uhr

Oma A. aus dem Haus ruft mich an. Warum ruft die immer per WhatsApp an? Kann sie nicht einfach eine Nachricht schicken, worum es geht?

Stimmt, das klingt gerade etwas scheiße von mir, aber ich muss hierzu kurz erklären, dass mich Oma A. mittlerweile täglich anruft, um mir mitzuteilen, wie der Status ihres Handys, der Telefonbuchse, des Adventskranzbindens oder ihrer Hüfte ist. Es sind für sie sicher wichtige Dinge, für mich sind es absolute Nichtigkeiten, weil es mich überhaupt nichts angeht. Und meine Geduld und Nettigkeit sind langsam am Ende, da sie sowieso nur von sich erzählt und Fragen, wie es mir geht, nur als Gesprächsansatz für ihre Themen nutzt. Wie komme ich aus dieser Nummer bloß wieder raus?

Nun, sie ruft an, aber glücklicherweise ist mein Telefon lautlos. Genau deswegen. Puh.

09:30 Uhr

Ich muss zu meiner Psychotherapie-Sitzung. Als ich mit drei Mülltüten bepackt vor dem Fahrstuhl stehe, stelle ich fest, dass er mal wieder kaputt ist. Nicht weiter schlimm (wahrscheinlich war es das, was mir Oma A. mitteilen wollte). Ich bringe den Müll wieder zurück und nehme die Treppen und laufe zur Therapie.

10:00 Uhr – Psychotherapie

Die Therapie verläuft super und hilft mir ungemein. Wir besprechen Dinge, Lösungsansätze und üben neue Denkstrukturen. Fein. Irgendwann werde ich ziemlich sicher wieder normal.

12:00 Uhr

Zurück zuhause stelle ich fest, dass der Fahrstuhl immer noch nicht fährt und ich mir so nicht mein Fahrrad aus der Wohnung holen kann.

Also nehme ich mir das Auto und fahre zu meinem nächsten Termin, denn ich muss meine Krankschreibung verlängern, und nach dem Erpresserbrief der Krankenkasse

„wenn sie nicht tun, was wir sagen, kann es passieren, dass wir die Geldzahlung einstellen“

muss ich für die Krankschreibung nun zum Psychiater.

12:30 Uhr

Der Psychiater hat erst ab 13:00 Uhr Sprechstunde, also nutze ich die Gunst der Stunde, und esse Mittag in einem sehr leckeren chinesischen Restaurant, welches Speisen wie in Shanghai anbietet, auch so eingerichtet ist und sogar so schmeckt.

13:30 Uhr – Krankschreibung

Ich laufe zum Psychiater, der Warteraum ist knackenvoll „das kann jetzt aber dauern“ quakt die Sprechstundenhilfe. Herrje, ich bin hier nicht, weil ich Achterbahn fahren will, sondern weil ich muss und eine andere Wahl habe ich auch nicht, denk ich mir.

Nach einer Dreiviertelstunde werde ich aufgerufen. Zunächst verschreibt der Arzt mir ein paar Tabletten zur Beruhigung meiner Gefühle. Ich frage nach den Nebenwirkungen. Süffisant sagt er zu mir:

„ach, die machen nur etwas dick. Sie müssen wissen, alle Medikamente haben Nebenwirkungen“

Ach ne, ernsthaft? Das wusste ich aber nicht … Und als wenn das dick werden gerade meine größte Sorge wäre.

Dass man zum Beispiel durch den Kauf eines Medikamentes die Nebenwirkungen akzeptiert und danach deswegen niemanden mehr belangen kann, weiß ja kaum jemand.

Nun füllt er die Krankschreibung aus, ein Wort ergibt das andere. Das Wort „Indien“ fällt. Dass für die besagte Reise Freunde Geld zusammengelegt haben, um mir diese zu schenken, damit ich über Weihnachten weg von hier bin, sollte hierbei nicht unerwähnt bleiben.

„Da kann ich Sie aber nicht krankschreiben, dann steht morgen in der BILD, Arzt schreibt Patientin für den Urlaub krank. Klären sie das mit der Krankenkasse.“

Stoß in die Magengrube. Dass ich natürlich bei genau der Krankenkasse bin, die wegen des Krankengeldes am meisten Theater macht, macht das Ganze noch beängstigender. Und meine schreckliche Angst vor Behörden knallt rein.

Und natürlich bekommt man diese Informationen, dass gerade die Krankenkasse, für die man sich entschieden hat, scheiße ist, ja nur unter der Hand und gewöhnlich immer nachher und viel zu spät.

Die Sprechstundenhilfe fertigt mir die Krankschreibung aus. Ich wundere mich. Auf dem Krankenschein steht: Krankheitsbeginn ist heute und er ist keine Folgebescheinigung der bereits bestehenden Krankschreibung?

Da war doch was? Ich frage nach, das ist doch nicht richtig. „Natürlich ist das richtig, das machen wir immer so“.

Scheiße. Was jetzt.

Erstmal fahre ich nach Hause, bei der Krankenkasse gibt es keinen Parkplatz, ist aber nur 15 Minuten zu Fuß von mir zuhause entfernt.

15:00 Uhr – Krankenkasse

Ich gehe zur Krankenkasse, die heute glücklicherweise länger Sprechstunde hat.

Ich bekomme einen netten Sachbearbeiter, der mir zuerst sagt, auch wenn sie im Urlaub sind, sind sie ja trotzdem krankgeschrieben. Der kann Sie nicht einfach so „nicht“ krankschreiben.

Da sie in den Urlaub fahren, bekommen Sie natürlich kein Krankengeld von uns, außer es ist medizinisch notwendig und ihr Arzt formuliert das so. (vergessen wird das einfach).

Ich frage ihn nach der Folgebescheinigung. „Ach, das ist egal“. Aber irgendwas in mir grummelt. Ich frage ihn, wie machen wir das jetzt. Da meint er, vielleicht lassen sie sich einfach von ihrer Allgemeinärztin für den Zeitpunkt krankschreiben, wenn sich der Psychiater quer stellt.

Jetzt ist es soweit, ich bin komplett bedient. Am liebsten würde ich mir nebenan eine Flasche Rotwein kaufen und heim gehen.

16:00 Uhr

Aber nein, ich schaue kurz im Handy, meine Ärztin hat noch offen. Der Fahrstuhl wird zuhause immer noch nicht gehen, also fahre ich mit meinem zweitgrößten Hassobjekt – den öffentlichen Verkehrsmitteln – zu ihr.

17:00 Uhr – meine Ärztin

Es ist glücklicherweise ruhig bei ihr. Ich frage sie nach dem Medikament, welches mir der Arzt verschrieben hat.

„Ja, das wird immer in solchen Fällen wie bei Ihnen verschrieben, hier muss man nur wissen, dass man nach einem halben Jahr ein EKG und Labortests machen muss, da es wegen dem Medikament zu Herzrhythmusstörungen kommen kann.“

Seht ihr, wusste ich es doch. Irgendwas ist immer.

Dann zeige ich ihr die Krankschreibung. Sofort sagt sie

„oh, dass muss unbedingt eine Folgebescheinigung sein, sonst kommen Sie in Teufels Küche. Sie sind nämlich bei der härtesten Krankenkasse, die sich bei solchen Dingen mal so richtig quer stellt.“

Sie macht mir eine neue Krankschreibung für denselben Zeitraum wie der Psychiater fertig und nun muss ich in den nächsten Tagen noch mal zu dem Psychiater hin, um ihm das mit der Krankschreibung und der Folgebescheinigung verklickern.

Einem alten weißen Mann, der überhaupt nicht mit sich reden lässt. Die Bauchschmerzen halten einfach einmal direkt an.

18:00 Uhr

Auf dem Weg zum Bus nach Hause ruft mal wieder ein Freund an, um eine Party, die morgen stattfinden sollte, abzusagen. Es ist gefühlt der 20. Freund. Das wars dann auch mit Partys, ich werde nichts mehr dieser Art planen.

18:30 Uhr

Die Busfahrt ist voll ok. Der farbige Busfahrer ist nett und aufmerksam. Ein Rollstuhlfahrer kommt mit seinem arabischen Begleiter, alle springen zur Seite und helfen, als die Rollstuhlfahrerplattform ausgeklappt wird. Eine junge Mutti mit Baby und ihrem ziemlich lustigen Kind (ich mag keine Kinder, das Kind hier ist jedoch ein wirklich sympathisches Exemplar) sitzt neben mir.

Das komplette Kreuzberger Kolorit mit all den normalen Menschen, die da in irgendwelchen Häusern schon seit Jahren wohnen.

19:00 Uhr

Es reicht. Dieser Tag war offiziell scheiße. Rotwein fällt aus, weil Aldi zu weit weg ist, aber einen Späti gibt es auf dem Heimweg und für Tyskie reichts.

„Sie haben ihr Schrittziel von 10.000 Schritten für heute erreicht!“

Ab in die warme Wanne, mir ist scheiße kalt. Was ich jetzt noch dringendst benötige, ist eine Erkältung.

Danach mache ich mir Trostnudeln mit Salami und Zwiebel und Tonnen von Parmesan und Butter.

Ungesund. Scheißegal. Alles ist gerade scheißegal.

Herzrasen.

Der Film auf Netflix kann mich auch nicht ablenken und beruhigen.

Gehe müde

22:00 Uhr

ins Bett. Verdammt, ich will schlafen. Ich will nicht mehr in dieser realen Welt hier leben. Herz bumpert unten an den Hals dran. Die ganze Zeit. Ich mache mich verrückt wegen dem Psychiater, der Krankschreibung, der Krankenkasse, dem ganzen fucking Rattenschwanz, der dem jetzt wieder folgen wird.

Immer schneller rast das Herz. Kannst Du einfach jetzt kaputt gehen, scheiß Herz. Steffen hol mich!

Ich bin so scheiße allein.

Nichts passiert. Natürlich. Verdammt.

Das Leben kotzt mich an. Der Erfolg der letzten Tage einfach an einem Tag wieder weggewischt.

Ein Computerspiel. Ja, das hilft kurz. Ablenkung.

Licht aus. Augen zu, das Herz rast.

Fick dich.

Lesen? Lesen!

Irgendwann gegen 02:00 Uhr schlafe ich ein.

Und Überraschung, ich wache auch heute wieder auf.

Steffen will den Drachen (mich) da drüben bei sich

einfach noch nicht haben.

Kennt jemand einen netten Psychiater?

 

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