Obdachlose und Wohnsituation in Berlin

Kreuzberger normaler Wahnsinn

von | Nov 20, 2019

Es ist hier etwas ruhig geworden. Deswegen gibt es heute wieder eine neue Geschichte. Über Berlin, über die Mietsituation in Kreuzberg, über Obdachlose. Der ganz normale Kreuzberger Wahnsinn. Gruselig und auch noch eklig. Passt ja zum November:

Die Novembergruselgeschichte

Schon wieder war ich über das Wochenende verreist. Nie bin ich zuhause. Nie wird es bei mir ruhig. Oma A. aus dem Haus schimpfte auch schon im Fahrstuhl mit mir. „Kind, du brauchst mal endlich Ruhe, das ist nicht gut“ Ja, sie hat ja Recht.

Sonntagabend

Sonntagabend kam ich im Dunkeln von meinem Flixbusausflug zu Steffens Eltern nach Dresden endlich wieder in Berlin mit meinem Rollköfferchen an.

Ich trete aus dem Fahrstuhl und gehe Richtung Wohnungstür, um diese aufzuschließen. Natürlich ist der Gang dunkel, ist er immer, das ist eigentlich auch kein Problem, denn ich finde das Schlüsselloch auch im Dunkeln.

Meine Wohnungstür befindet sich in einem separaten Flur mit ziemlich schlechter bzw. kaum vorhandener Beleuchtung hinter einer separaten Glastür.

Als ich die Glastür öffne, schlägt mir schon ein übler Geruch entgegen. Ich schaue nach links in den dunklen Gang. Es müffelt ganz schön, wahrscheinlich hat der Nachbar aus genau diesen Gründen mal wieder seinen Müllsack vor die Wohnungstür gestellt. Verständlich. Ich schaue genauer, ja, da liegt irgendwas.

Ok, es ist wie gesagt finster wie im Katzenarsch, also mache ich das Flurlicht an.

Schock

Da liegt ein Mensch!!!! Ein Obdachloser hat es sich hier auf dem Gang gemütlich gemacht und schläft tief und fest an der Heizung.

Leise schließe ich meine Wohnungstür auf, ohne weiteres Aufsehen zu erregen. Auf Zehenspitzen schleiche ich in meine Wohnung.

Mir ist vollkommen klar, dass das eine arme Sau ist und froh ist, dass er endlich ein warmes und ruhiges Plätzchen gefunden hat.

Aber parallel stinkt er furchtbar und dieser Odem aus der Hölle zieht merklich durch die Ritzen der Wohnungstür.

Obdachlose und Drogensüchtige im Treppenhaus

Außerdem hatten mich schon mehrmals Nachbarn darauf hingewiesen, dass im Treppenhaus Drogen gespritzt werden, da dort niemand nachts durch geht oder besser gesagt, sich deswegen traut, da durch zu gehen. Und irgendwohin muss dann ja auch uriniert und gekackt werden. Das passiert dann natürlich auch dort. Blutspritzer und diverse andere Körperflüssigkeiten wurden an der Wand verteilt.

Solange es mich nicht tangiert, dachte ich mir so bei mir, Leben und leben lassen.

Der Vermieter unternimmt nichts

Der Vermieter macht nichts dagegen, vielleicht sind ihm auch die Hände gebunden. Ich will ihm hier nichts unterstellen.

Andererseits wäre es für ihn auch von Vorteil, wenn die Langzeitmieter mit ihren billigen Mieten das Haus, ihre Wohnungen endlich verlassen, denn dann kann man sanieren und die Wohnungen für ein mehrfaches vermieten. Also 55 Quadratmeter für 1200 EUR.

Deswegen war es mir auch egal, dass da Obdachlose und Drogenabhängige im Treppenhaus herumlungern. Lieber zahle ich die geringe Miete und nehme die Dinge in Kauf, solange sie im für mich nicht sichtbaren Treppenhaus passieren.

Nachtrag:

In der Wohnung im 14. Stock wurde im großen Rahmen gedealt. Natürlich haben die Kunden den guten Stoff schon auf dem Weg nach unten aka im Treppenhaus konsumiert. Dies sorge dafür, dass der Typ in meinem Flur angespült wurde. Nachdem die Wohnung aber vom SEK gestürmt und zwangsgeräumt wurde, ist endlich Ruhe.

Aber das ist zu viel!

Aber das Ganze dann direkt in meinem Flur vor meiner Wohnungstür? Das ist definitiv zu nah. Wo einer ist, folgen später mehr, wenn es warm und bequem ist und keiner sie stört.

Ok, das muss ich erstmal verarbeiten. Ich lasse in meinem Flur alles fallen und flüchte mich in die akustisch stille Ecke meiner Wohnung.

Angst

Mein Herz schlägt bis in den Hals. Ich habe Angst.

Und so bemerke ich es auf die schmerzhafte Art: ich bin hundeseelenallein. Da ist kein Mann mehr, den ich vorschicken kann. Und ja, ich bin mir bewusst, dass das auch ein doofer Stereotyp ist, dass Männer immer stark und mutig sind und Frauen beschützt werden wollen.

Gerade habe ich aber für pc (political corectness) keinen Nerv.

Es ist eine Sache, zu sagen, was man in einer fiktiven Situation täte. Meist ist die Antwort überlegt und heldenhaft.

Wenn man jedoch darin feststeckt ist die Antwort und Lösung eine ganz andere.

Ok, ich versuche mich zu beruhigen.

Was mache ich also jetzt?

Ich schicke meinem Nachbarn unter mir eine SMS, wir hatten uns letzte Woche noch über die Thematik unterhalten. Ich warte 5 Minuten, keine Antwort.

Was würde ich tun, wenn ich nicht mit dem Nachbarn geredet hätte und allein wäre?

Die Polizei rufen!

Das mache ich dann auch. Ich werde nicht hinaus gehen und mit dem Obdachlosen reden. Zu groß ist die Angst, dass er sich meine Wohnung merkt, nachts kommt, wenn ich allein bin und dann auch andere Obdachlose oder Drogenabhängige mitbringt oder was auch immer. Dies ist eine eventuelle Situation, die ich allein nicht lösen kann.

Ich rufe also die Polizei. Rufe 110.

Der Wachtmann ist super freundlich und sichert mir Hilfe zu.

Ich gebe fix meinem Nachbarn via SMS Bescheid, dass er sich nicht mehr kümmern braucht, da ich die Polizei gerufen habe.

Hilfe naht

Eine Minute später klingelt es an meiner Tür. Mein Nachbar steht davor, ich bitte ihn herein, denn der Obdachlose liegt immer noch im Flur, bewegt sich jetzt aber.

Er erklärt mir, dass er den Obdachlosen heute schon im Treppenhaus getroffen hat, gefragt hat, ob er etwas zu Essen braucht, ob er Hilfe braucht. Der Obdachlose hatte es verneint. Mein Nachbar beschreibt den Obdachlosen als arme Sau. Er ist auch noch jung. Vielleicht 20-30 Jahre alt. Und mein Nachbar beruhigt mich, dass es richtig war, die Polizei zu rufen.

Eine weitere Minute später klingelt es an der Haustür, die Polizei ist da.

Wenig später sehe ich durch den Spion, wie sich die Fahrstuhltür öffnet, zwei Polizisten kommen heraus. Ich öffne meine Wohnungstür und zeige in die Richtung des Obdachlosen. Dieser gibt Fersengeld und verschwindet Richtung Treppenhaus. Die Polizei rennt hinterher.

Dank an meinen Nachbarn

Auf den Schreck hin gebe ich meinem Nachbarn noch eine Portion Curry als Dank für den nächsten Arbeitstag und komme endlich zuhause an

Montagabend

Es ist nach 22:00 Uhr, ich gehe ins Bett. Gegen 23:00 Uhr klingelt es an der Haustür. Natürlich ignoriere ich das. Ich ignoriere jedes Haustürklingeln. Wer zu mir will, kündigt sich immer vorher an.

Wenig später höre ich, wie sich leise die Tür zu meinem Flur öffnet.

Dem folgt ein Geräusch, wie wenn sich eine große Masse auf den Boden wirft.

Er ist wieder da! Und er hat vorher an meiner Tür geklingelt!

Mein Herz rast.

Minuten später höre ich ein tiefes Schnarchen vor meiner Tür.

Der bereits von gestern bekannte Duft durchdringt wieder die Türritzen zu meiner Wohnung.

Zweifel

„ja, es ist aber scheiße kalt draußen, lass ihn wenigstens etwas pennen“, sagt die gute Seele in mir.

Mein Körper straft mich mit Herzrasen ab. Ich bin hier gerade verdammt allein. Und ich habe Angst! Diese Erkenntnis schmerzt tief.

Ich versuche irgendwie zu schlafen. Das Herz rast immer noch weiter.

Irgendwann gegen 01:00 Uhr erwache ich aus meinem Dämmerschlaf.

andere Zweifel

Ich höre Würgegeräusche. Der Obdachlose kotzt. In meiner Fantasie sehe ich schon die Flüssigkeit ekligster Herkunft in meinen Wohnungsflur rinnen. Ich behaupte sogar, ich kann es riechen.

Das ist zu viel.

Ich weiß, wie leise und hellhörig das Haus in der Nacht ist. Man hört jeden Schritt, jedes Geräusch und das Heulen des Windes.

Also schleiche an den weitest von der Tür entferntesten Ort meiner Wohnung und rufe wieder die Polizei an. Ich flüstere ins Telefon.

Meine Worte sind ein hartes Eingeständnis meiner gesamten aktuellen Lebenssituation:

„Ich habe so eine Angst, ich bin ganz allein.“

Weiter teile ich dem Wachmann an der 110 mit, dass ich lediglich die Haustür betätigen, aber nicht meine Wohnung aufmachen werde. Ich möchte nicht, dass der Obdachlose erfährt, wer ihn verpetzt hat.

Angst

Während ich jetzt auf die Polizei warte, stehe ich im Wohnungsflur direkt hinter der Tür, direkt am Türsummer. Ich bin ganz leise und habe eine Kerze angemacht. Damit man kein Licht sieht.

Ich lausche dem tiefen Schnarchen des wieder eingeschlafenen Obdachlosen. Und zittere am ganzen Körper. Mein Herz schlägt bis in den Hals.

Hilfe naht

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