Weihnachten, das Fest der Liebe und des Konsumwahnsinns. Oder? Wie feiert man Weihnachten, wenn man den wichtigsten Menschen verloren hat?

Weihnachtsgedanken rund um die Geschenke

von | Nov 23, 2019

Rückblende 2019. Weihnachten steht vor der Tür. Morgen in vier Wochen ist Heiligabend. Das erste Weihnachten allein als Witwe. Wie ist das? Meine sarkastischen Betrachtungen aus dem Jahr eines Witwendaseins.  

Ein sanfter Druck steigt in jedermanns Kehle hoch und ein Hauch von Panik. Was soll ich kochen? Ich muss ja noch die Geschenke besorgen für die Enkel, Kinder, Neffen oder wen auch immer. Und dann sind ja noch Dietmar und Ottilie, was schenkt man denen denn? Die haben doch schon alles. Verdammt. Kekse müssen auch noch gebacken werden. Das Herz schlägt hoch bis in den Hals. Erstmal ein Likörchen und ein Spaziergang.

Spaziergang

Ich schnappe mir Hundi (Fiktion: ich habe gar keinen Hund) und gehe draußen eine Runde um den Block, um klar im Kopf zu werden. Die Nachbarin hat schon die ganze Wohnung dekoriert es wabert bunt, wie in einem Puff, hinter den Gardinen. Und auf ihrem Balkon blinkt es so stark, dass man im Vorgarten eine Warnung wie auf Computerspielen anbringen sollte:

Bei einigen Personen kann es zu epileptischen Anfällen

kommen, wenn sie bestimmten Lichtfrequenzen, flackernden Lichtquellen oder

geometrischen Formen und Mustern ausgesetzt sind.

Als ich weitergehen möchte, spüre ich einen Widerstand an der Leine. Mein Hündchen ist stehen geblieben. Sanft ziehe ich an der Leine. Ich ziehe stärker.

Hundi ist durch die blinkernden Lichter paralysiert worden. Es steht da, erstarrt vor dem Balkon. Ich ziehe es auf seinen vier Pfoten wie einen kleinen haarigen Rechen (Harke) durch das Laub. Endlich vor der Haustür angekommen, hat sich auf diese Art und Weise ein großer Laubhaufen angesammelt. Alles schmutzig. Liederlich!

Da wird sich morgen früh aber der Laubbläser wieder freuen, wenn er sich sanft von den Bäumen herablässt um sein nerviges Tagwerk zu begehen.

Ich schnappe mir Hundi, schüttele ihn kurz aus. In der Wohnung angekommen, erweckt ihn das Leckerli wieder zum Leben. Keine Sorge, dem Hund ist nichts passiert.

Was ist eigentlich aus Weihnachten geworden?

Weihnachten übt mittlerweile so einen barbarischen Druck auf die Menschen aus, ich verstehe, warum Leute einen Herzinfarkt bekommen, warum sich Beziehungen trennen oder warum Papi zum Axtmörder wird. Es ist leider ein bisschen nachvollziehbar.

Es beginnt schon im November

Halloween ist nun durch, die Laternenumzüge auch gleich. Bis jetzt war es noch witzig, Herbst und so. Grau und dunkel. Alles so schön muckelig. Die erste Martinsgans ist verdrückt worden, und ach, hat die gut geschmeckt. Das könnte man das ganze Jahr essen, schmatzt Herbert. Mutti raunt: „ja, ja, Bertl, ich werde dich nach Weihnachten an deine Worte erinnern.“

Omnipräsent stehen schon seit den letzten 20 Grad Außentemperatur die Weihnachtsmänner und Dominosteine im Supermarkt drinnen. Aber man hat sie bisher schlau ignoriert.

Und dann ist es plötzlich da. Das Weihnachtsdingens. Der Moment!

Selbstgebastelte Kränze hängen plötzlich an den Eingangstüren der Nachbarn. Auf den Balkons und in den Vorgärten stehen irgendwelche leuchtenden Rehe und Weihnachtsdinge.

Die Materialschlacht hat begonnen! Krieg, endlich wieder Krieg. Oh, falsches Thema …

Die To-Do-Liste

Gute Ehefrauen haben einen Kalender in der Küche hängen mit ToDo-Listen und Deadlines:

  • Weihnachtskalender kaufen! Die sind schnell weg
  • Oder für Schatzi selbst einen Weihnachtskalender basteln (aber dafür liegt die Frist noch viel eher im Jahr)
  • Adventskranz selbst basteln, binden lassen, fertig kaufen oder vom Dachboden holen und abstauben
  • Alle möglichen Backzeitungen kaufen und das Internet nach „the most fancy Keks, äh Cookie“ checken
  • am Adventwochenende Kekse backen und wenn vorhanden, mit Familie
  • Wohnung dekorieren. Neu im Trend jetzt: große dunkelrote Blüten und Gold
  • Vergiss den Home-Aufsteller nicht!!!!
  • Eine Liste mit den zu Beschenkenden wird erstellt und eventuelle Ideen dahintergekritzelt
  • Wer schlau ist, grast alle Gutscheincodes im Internet ab. Die anderen fahren in die Metro. Aber egal, schnell muss man sein, sonst ist alles weg! Das Stresscrescendo in den Einkaufszentren am Alexanderplatz ist regelrecht spürbar. Ein unangenehmes Sirren liegt in der Luft.
  • Und der Weihnachtsbaum! Papa erstellt Strategien. Wann ist die meiste Auswahl vs. Preisnachlass, wenn man mit Nerven wie Stahlseilen bis zur letzten Minute wartet?

Überall eröffnen die Tannenparadiese. Ich hoffe, wenn ich tot bin, komme ich nicht ins Tannenparadies. Durchgebämselt durch die Tannenröhre, gefangen im Netz …

Weihnachtsessen

Ach, und das Weihnachtsessen!!!! Glücklich wer Familie hat, der kann mit Frau/Mann/Kind/Kind/Hund/Katze zuhause bleiben.

Das ist jedoch scheiße für bindungs- und/oder fortpflanzungsunwillige Geschöpfe. Die müssen zurück nach Hause. Zurück in die Kackdörfer, aus denen sie geflüchtet sind. Familie ist ja ok, aber diese Kackdörfer, aus denen man geflüchtet ist …

Fiasko im letzten Jahr

An dieser Stelle bekommt der Wahnsinn den nächsten Schub:

Mutti sagt, so ein Stress, ich koche doch nicht schon wieder für alle. Ich habe doch gar keinen Platz.

Der wahre Grund ist jedoch, dass die Zutaten vom Küchengott Bofrost doch nicht so easy zuzubereiten waren. Der Rehbraten war eine Katastrophe, und Mutti kann ja nichts dafür, sie hat es doch so gut gemeint. Und hat sich dann danach so geschämt für die grauen trockenen Proteinwürfel in der schönen Soße.

Durch den Erfolgsdruck, der über uns allen schwebt, initiiert durch endlose Frauenzeitschriften mit verheißungsvollen Aufschriften wie:

  • Das perfekte Weihnachtsessen
  • Einfach vorzubereiten, sprachlose Gäste
  • Das besondere Weihnachtsmenü
  • Die 90-Grad-Supergans
  • Bla bla bla

Und alle Rezepte sind sowas von fancy und easy, mit Zutaten, die man halt bei Edeka doch nicht bekommt, weil die irgendjemand schon direkt weggekauft hat. Und am Ende schmeckt es dann doch nicht so wie früher. Warum denn aber nur? Bestimmt, weil genau diese eine Zutat gefehlt hat. Verdammt.

Also ersparen wir uns den Stress, und reservieren einen Tisch für alle in einer Gaststätte.

Gaststättenessen zu Weihnachten

Mutti resigniert und bestellt einen Tisch in einem Restaurant mit gutbürgerlicher Küche. Es muss gutbürgerlich sein, denn „Vati isst doch nichts anderes“ sagt sie entschuldigend.

Nach 10 Telefonaten findet sie endlich ein Restaurant, welches am ersten Weihnachtsfeiertag noch einen freien Tisch 13:15 Uhr für uns hat.

Wahnsinn in der Gastronomie

Und was passiert jetzt? Genau.

In der Küche arbeiten nur die armen Würste, die keine Familie und/oder kein Geld haben oder denen einfach alles scheißegal ist. Der Wirt ist gierig, denn Weihnachten und Silvester ist die umsatzstärkste Zeit im Jahr. Dem folgt dann meist der Januar und der Februar mit seinen horrenden Steuerabgaben und dem Tal der Tränen, weil niemand mehr in die Gaststätten kommt. Denn auch die anderen haben sich mit den Weihnachtsgeschenken übernommen und müssen nun die Versicherungen und das fxxxxing Finanzamt bezahlen.

Also muss der Wirt in diesen zwei Wochen den Umsatz für zwei Monate machen.

Entsprechend sind die Tische im Gastraum doppelt belegt, jeder hat exakt 1,5 h Zeit, alles aufzufressen. Kein Quatschen, labern, trinken und Gabentisch. Nein. Der nächste Gast, bitte. Next!

Die armen Schweine in der Küche gehen schon auf dem Zahnfleisch. Die tausendste Entenkeule, der zigste Lachs. Der Konvektomat im Dauerbetrieb. Das Essen optimiert und vereinfacht. Rotkohl, Klöße, eine Soße für alles. Jetzt kommt mir nicht mit Veganer und Allergene, sagt der Koch. Verdammt. Der Gast soll den Scheiß einfach fressen. Die einzige Ruhe gibt es dann bei einer Pausenzigarette. Die Hände zittern.

Das durchschnittliche Essen mit gummiartiger Ente und totgebratenem Lachs kommt auf dem Tisch. Die Servicekräfte sprechen nur noch abgehackt. Fertigsoßendüfte wabern durch die Gaststätte. Knorr und Maggi forever. Schade, aber leider nachvollziehbar.

Dann geht es wieder gesammelt nach Hause, denn jetzt gibt es

Geschenke

Aber nur für die Kinder! Wir haben doch schon alles. Wir schenken uns dieses Jahr nichts.

Ach Mensch, das wäre doch nicht nötig gewesen.

Diverse hochprozentige Flaschen wechseln den Eigentümer. Eingepackt in Geschenkfolie mit geringelten Schleifenenden oder in praktischen Geschenktüten. Lustige Dinge und Spruchkarten wurden dazu gelegt. Je nach Alter des Empfängers mit einem kleinen Geldschein, je jünger der Beschenkte, desto höher der Betrag.

Kinder

Ein Blick geht zu den Kindern.

Sie sitzen in einem riesigen Berg von zerfetztem Geschenkpapier und Unmassen von Dingen. Die Gesichter sind durch die weggeatmete Schokolade braun verschmiert. Die Augen sind starr und glasig. Die kleinen Herzen pumpen das zuckrige Blut durch die kleinen Körper. Die Pupillen weiten sich … der Zuckerinput ist nicht mehr zu verarbeiten. Gleich geht die Rakete ab. Noch 3 … 2 … 1 … bis sie sich gegenseitig auf die Mappe hauen, weil der eine etwas hat, was der andere nicht bekam. Aufgedreht. ADHS für alle.

Die Materialschlacht neigt sich dem blutigen Ende zu.

Mutti sinkt im Ohrensessel zusammen und sagt:

Ach, haben wir das dieses Jahr auch wieder über die Bühne gebracht.

Aber was ist eigentlich Weihnachten?

Ich denke, wir suchen alle nach der Harmonie und dem Glücksgefühl von früher. Zum Beispiel nach dem Moment, wo wir früher mit Mama Plätzchen gebacken haben. So schön warm ist es da in der Küche, das ganze Haus ist vom Vanilleduft durchzogen.

Wir denken zurück an den Moment, wo man mit seiner großen Liebe auf dem Weihnachtsmarkt stand. Man trank gemeinsam Glühwein, welchen man in dicken Handschuhen in den Händen hielt. Sanft wärmt das Getränk die Hände. Die Küsse schmecken nach Glühwein und wärmen das Herz, seine Hand greift nach deiner Hand.

Die junge Familie, die mit ihrem kleinen Baby das erste Weihnachten gemeinsam verbringen, seelig auf das schlafende Baby schauend, tief den einzigartigen Duft des Kindes einatmend und hoffend, dass es noch viele so schöne gemeinsame Weihnachten gibt.

Durch den knirschenden Schnee stapfen und dann wieder zurück in die warme Wohnung kommen.

So einfach. So schön.

Weihnachten ist Liebe, nicht Konsum. Weihnachten ist die Liebe zu seinen Mitmenschen, Selbstliebe, Achtsamkeit, Aufmerksamkeit.

Kein Protokoll, der Dinge, die man machen soll, die man abhakt, für die Leute, für die anderen und für den Schein.

Mit jeder gekauften Kerze, mit jedem Gänsegewürz, welches man unnötig kauft, hofft man, dieses Gefühl von damals wieder einzufangen. Aber das geht so nicht.

Mache nur Dinge für Dich und mit und für Deine Lieben. Du lebst nur im jetzt.

Genieße den Moment. Den Moment kann man nicht kaufen.

Weihnachten in der Trauer

Weihnachten ist die Hölle, wenn man die Person verloren hat, die einem alles bedeutet hat, mit der Weihnachten perfekt war. Was macht man dann?

Vielleicht ist es Zeit, für neue Wege. Denn man kann ja nicht dahin zurück, zu dem was mal war. Es wird anders werden, aber niemals mehr genauso.

Vielleicht startet man ein völlig neues Weihnachtsritual?

Verreise oder fahre in eine einsame Hütte. Oder lade alle Freunde ein, die in der Stadt zurückgeblieben sind und schütte deine Liebe, die nur für den Verstorbenen da war, wie eine Gießkanne über Deine Lieben aus und beobachte, was dann geschieht.

Redet ständig und immer über den Verstorbenen, so ist er da.

Lache aber auch, mach Witze. Die auf der anderen Seite wollen nicht, dass wir ständig traurig sind.

Sei lieb und achtsam zu dir selbst. Du bist jetzt deine Hauptperson. Fange an Dich zu lieben und dann kommt alles andere ganz von selbst.

Kommt ohne Stress durch die Weihnachtszeit!

Butterkekse

Ich habe mir gestern Kekse gebacken, das erste Mal seit 12 Jahren. Letztes Jahr wollte Steffen unbedingt Kekse, wir haben Fertigteig gekauft, es war furchtbar enttäuschend.

Also buk ich gestern selbst. Das Rezept für den Teig war aus dem Internet, wichtig war ein hoher Butter-Zucker-Anteil. Mangels eines Nudelholzes und Ausstechformen habe ich einfach kleine Kugeln geformt und diese dann platt gequetscht. Nicht so schön, aber lecker.

Und die ganze Wohnung duftet nun nach Butterkeksen, Vanille und Zuhause, wie damals bei Mama.

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