Ruhe
Es ist Montagvormittag. Ich trete auf die Straße und da ist sie. Diese Ruhe! Diese unglaubliche Ruhe kennt man sonst nur von einem faulen sonnigen Frühlingssonntag. Aber heute ist erst Montag. Montag im Coronalockdown. Alle sitzen zuhause.
Normalerweise eskaliert es um diese Uhrzeit stets auf der vorrangigen Straße vor meiner Haustür. Das Gehupe und Geschrei der gegenseitigen Hassbekundungen flattert ganz weit hinauf und hinein in meine Wohnung, das Ganze wird nur gelegentlich unterbrochen durch ein tiefes LKW-Hupen der Baustellenfahrzeuge. Ab diesem Moment weiß ich, ah ja, der Berufsverkehr hat begonnen. Gestresste und frustrierte Menschen mäandern durch die Stadt, um an ihren Arbeitsplatz zu kommen.
Gegen neun versuchen die letzten verzweifelten Randberlinbewohner einen Parkplatz auf den Straßen meiner Wohngegend zu finden, ein schier unmögliches Unterfangen. In den letzten drei Jahren ist hier die Parksituation dermaßen eskaliert, dass sogar seit zwei Jahren das Ordnungsamt in meiner Gegend patrouilliert. Bis dahin wurde ich nur von Freunden entsetzt zuhause mit den raunenden Worten „Ach herrje, hier wohnst Du??“ aus dem noch rollenden Fahrzeug geschubst.
Und jetzt suchen hier Menschen Parkplätze!
Ruhe
Aber heute morgen ist alles anders.
Diese Ruhe! Die Menschen spazieren gemütlichen Schrittes mit ihren Kindern auf den Gehwegen. Unbewusst hält dabei aber jeder Abstand zu den anderen Passanten.
Was mir als erstes auf dem Weg zur Apotheke auffällt ist, dass die Leute entspannt und irgendwie entschleunigt sind. Warm britzelt die Sonne im Gesicht, ältere Menschen sitzen in der Sonne auf dem Balkon im Erdgeschoss und halten einen Schwatz mit der Nachbarin, die mit Hundi Gassi geht.
Vor der Apotheke sitzen zwei ältere Herren kraftvoll rauchend und dabei schwatzend. Vor ihnen steht eine Aldi-Tüte und vier Packungen Klopapier. Ich muss schmunzeln. Ist der Trend jetzt auch hier angekommen.
Ich muss zur Apotheke um mein Schilddrüsenmedikament zu holen, sonst bin ich nämlich die erste Person, die aus dem Bunker muss, wenn es eskaliert, denn meine Lebensspanne ist dann begrenzt. Denn ohne das Medikament sterbe ich langsam und in Raten. Weil ohne Schilddrüse kein Leben. Wer hätte das gedacht.
Also wenn es so weit ist, nehmt mich mit in den Bunker, ich kann dann draußen noch etwas Klopapier besorgen, bevor ich sowieso verende. Haha. Fatalismus kann ich.
Zeit für Gedanken
Es fühlt sich nicht an wie eine Krise, Apokalypse oder Corona. Es fühlt sich eher an wie eine Zwangsentschleunigung von unserem zu 70% sinnlosem Arbeitsalltag.
Wer von uns macht denn eigentlich wirklich nützliche und lebensnotwendige Dinge auf Arbeit? Warum ist eigentlich jeder Mensch ersetzbar?
Jetzt haben wir endlich einmal Zeit und Ruhe für:
- Mittagsschlaf (wer kann, Sex)
- Nichtstun
- Lesen
- Familie
Da wir dieser Zwangsruhepause nicht entgehen können, nicht in Urlaub fahren, nicht performen und nicht Instagram-posen können.
Einfach einmal NICHTS.
Zeit für Zweifel
Parallel wird uns in dieser Ruhe die Absurdität mancher Dinge vielleicht bewusst:
- warum bin ich eigentlich mit dieser einen Person noch zusammen?
- Ist mein Job wirklich so wichtig?
- Was habe ich bisher mit meinem Leben gemacht?
- Was wollte ich eigentlich mit meinem Leben tun, als ich noch jung und voller Feuer war?
Ja, diese Fragen tun weh und wurden stetig vor sich hergeschoben. Nun lauern sie zuhause in jeder stillen Ecke mit sich selbst.
Ja, das ist der Grund, warum viele Menschen nicht mit sich allein sein können und sich ständig beschäftigen müssen und ständig Leute um sich brauchen, die sie vor ihren ureigensten Gedanken ablenken.
Frotzelnde Partner machen sich lustig über ihre Partner, die nun gemeinsam mit ihnen zuhause gefrustet herumsitzen – warum sind sie dann mit diesem Typ oder dieser Frau zusammen? Und warum ist das ein Running Gag? Warum verstehen das alle? Was sind das denn für Beziehungen?
Witwendinge
Das erklärt natürlich warum psychologisch gesehen kein Trauma beim Tod des Partners erwartet wird, bei verstorbenen Kindern jedoch schon.
Wisst ihr wie oft ich den Satz höre, „Bist du langsam mal darüber weg/Du findest sicher einen Neuen, Du bist doch noch jung/siehst doch gut aus … bla bla“? Ich kann schon lippensynchron mitsprechen. Das ist wie: „ach, dein Kind ist gestorben? Geh doch ins Kinderheim, da gibt es noch genug“.
Geld
Ich weiß, die größte Sorge zur Zeit neben der möglichen Krankheit ist der Verdienstausfall.
Wenn ihr angestellt seid, braucht ihr euch wirklich keine Sorgen machen. Für die Angestellten gibt es immer Sicherheitspakete. Ist so.
Wirklich hart trifft es Kleinunternehmer, Freiberufler, Selbstständige. Die haben keine Lobby. Nehmt Euch Zeit für diese Petition meiner lieben Freundin Tonia.
Ich bin der Meinung, diese Lösung würde unproblematisch allen helfen. Klickt einfach auf das Bild, um die Petition zu unterzeichnen.
Und das nächste ist: alle haben gerade Geldsorgen. Alle! Beruhigt Euch, so gut wie es geht.
Altersrücklagen, Lebensversicherungen, Aktiendepots, Fonds werden gerade vaporisiert. Und ein Ende ist nicht in Sicht.
Du bist nicht allein mit deinen Geldsorgen. Jeder hat welche. Bis jetzt hat keiner hier gewonnen. Niemand! Na gut, doch: die Umwelt.
Vielleicht ist aber auch jetzt die Zeit für etwas ganz Neues gekommen?
Und jetzt haben wir auch endlich einmal Zeit, darüber nachzudenken, was wir im Moment Null eigentlich machen würden, wenn wir neu starten könnten.
Gerade wird Geschichte geschrieben und wir sind mittendrin.
Seid achtsam, offen und neugierig. Beobachtet! Öffnet Eure Herzen! Helft.
Alles wird gut!
wenn die Zielvorgaben sind: „er soll gut aussehen, Bauchmuskeln haben und mich zum Lachen bringen“, ist der Partner sicher austaschbar.
Naja, aber zum Lachen bringen ist doch schon die halbe Miete