Zukunft?
Ein halbes Jahr nach Steffens Tod und meiner kleinen Flucht mit dem Auto nach Sardinien geht das Leben in Berlin einfach so weiter. Ich muss Steffens Konto auflösen, zum Erbgericht und weiß aber immer noch nicht, was ich in Zukunft will. So ganz ohne Zukunft. Ohne Steffen.
Nach der Italienreise geht das normale Leben ja weiter und deswegen hatte ich letzte Woche wichtige Termine, die mich unterschwellig doch den ganzen Urlaub begleitet haben. Man hat sich zwar versucht abzulenken, aber dennoch pockern diese Termine im Hinterkopf herum und picken mit spitzen Fingernägeln in die schmerzempfindliche Hirnhaut.
Termin beim Erbgericht
Den Erbschein benötige ich nur dafür, um Steffens Konto bei der Sparkasse endlich aufzulösen. Die Sparkasse behandelt mich seit Steffens Tod wie einen Verbrecher, da wir es verabsäumt hatten, eine Kontovollmacht zu erstellen. Wer denkt schon über den Tod nach, wenn der Krebs besiegt zu sein scheint?
Sparkasse
Jedes Mal, wenn ich eine Überweisung von seinem Konto zu tätigen hatte, wurde eine schwarze Schutzfolie über den Monitor gelegt und dieser von mir weggedreht, damit ich seinen Kontostand nicht sehe. Ich denke nicht, dass es aus Fürsorge war, damit ich nicht ob des Kontostands weine…
Also musste ich nun auf das Amtsgericht in Berlin Mitte. Nach einem Sicherheitscheck und einer ausgiebigen Waffenkontrolle durfte ich die ehrwürdigen Hallen betreten. Ich wurde zu einem Raum geschickt, wo ich auf einer Wartebank auf meinen Aufruf harren konnte.
Funfact:
der Begriff „auf die lange Bank schieben“ kommt aus dem Berlinerischen. Vor dem Gerichtssaal stand im Vorraum eine lange Bank, welche immernoch im Märkischen Museum ausgestellt ist, wo Angeklagte und Kläger vor dem Gerichtstermin auf ihren Aufruf warten mussten. Auf der „langen Bank“.
Der Beurkundungstermin
Irgendwann wurde ich dann aufgerufen und betrat ein vollkommen gewöhnliches Beamtenzimmer mit Schreibtisch und einem Katzentisch für mich. Da Krankheitssaison ist, wurde mir nicht die Hand gegeben. Keine Emotion war spürbar.
Schnell wurde das Leben von Steffen in kurzen Fakten vorgetragen, wie es in der Urkunde steht: Geburt, Tod, Eltern, Geschwister, Ehestand. Ist das alles so korrekt, ja ist korrekt.
Der Erbschein geht ihnen in den nächsten Tagen zu.
Tschüß (ich wollte kein Wiedersehen)
10 Minuten.
In 10 Minuten ein Menschenleben abgehakt.
Ja, ich weiß, dass das eine Behörde ist und dass das so funktioniert, die können ja keine Romane verlesen und machen nur ihren Job.
Aber für mich war das emotional ein absoluter Tiefschlag.
Das wars für Steffen. Ende Gelände. Haken dran. Haken dran an ein Menschenleben.
Und das Leben geht draußen weiter, alles dreht sich, die Busse fahren, Menschen sind gestresst, Jungmenschen haben Visionen. Berlin ist immer noch da.
Das war zu viel für mich.
Ins Loch fallen
Ich musste sofort zurück in meine Höhle, meine Wohnung. Meine Sicherheitszone.
Sofa, Netflix, Essen. In dem Moment rollte auch pünktlich eine schöne Erkältung an. Mit Kopfschmerz und Müdigkeit. Mein ganzes System fuhr herunter.
Faszinierend, dieser Körper.
Steffen
Und die ganze Zeit denkt man an Steffen, immer. Ich denke jede Stunde an Steffen, jeden Tag. Auch nachts. Dann träume ich von Steffen. Nur weil ich hier so cool und tough alles manage, augenscheinlich das Alleinsein feiere und reise und reflektiere, reißt es mir trotzdem ständig und stetig die Beine weg.
Da kann mir auch keiner helfen, da mir niemand den Schmerz abnehmen kann. Da die meisten von Euch glücklicherweise nicht wissen, wie es sich anfühlt. Und ich wünsche es niemandem, dort zu sein, wo ich bin.
Obwohl, manchmal, wenn ich so einem Null-Empath begegne, hätte ich gerne die Fähigkeit, durch meine Berührung all meine Gefühle, die in mir brodeln, auf diese Person zu übertragen. Ich würde die Person ganz sacht am Arm berühren und dann genüsslich zuzusehen, wie der Kopf zerplatzt.
Gern geschehen.
Zukunftsangst
Denn es ist ja nicht nur so, dass ich meinen Partner und besten Freund verloren habe. Andere, die ihren Partner verlieren, sind gewöhnlich schon in Rente und wenigstens so abgesichert oder in einem Angestelltenverhältnis, in das sie danach zurückkehren können.
Ich jedoch habe meine Firma aufgeben müssen und nach meiner Anstellung auf dem Schloss wurde ich wegen Burnout krankgeschrieben, weil ich mich einfach nicht konzentrieren und unter Belastung arbeiten konnte und ständig heule, denn überall sehe ich Steffen, ich weiß, was er getan und gesagt und gemacht hätte.
Wir waren eben ein eingespieltes Team, in jeder Hinsicht.
Seitdem weiß ich, dass ich so nicht mehr arbeiten kann.
Also neben dem Verlust ist da also auch noch diese große existenzielle Angst:
Was ist überhaupt meine Zukunft?
Ich weiß nicht, was ich in Zukunft machen will. Ich weiß nur, was ich nicht will:
- Nie mehr Catering oder kochen an Orten, wo ich mit Steffen war
- Keine Selbstständigkeit (dazu an anderer Stelle mehr)
- Nichts mit Menschen, deren endloses Gequatsche den ganzen Tag ungefiltert (ich habe leider nicht diese tolle Hirnschranke, die Steffen hatte, die Bullshit in weißes Rauschen transformiert) in mein eh schon viel zu volles Hirn eindringen und es zerficken (und ich hasse den Satz: Mit solchen Menschen wirst Du es immer zu tun haben. WTF?)
Und vor allem habe ich keine Vorstellung über eine mögliche Zukunft. Jeder hat ja Pläne, will später dies und das, will ein Haus, ein Auto, ein Wochenendhäuschen. Sagt Dinge wie: wenn wir älter sind, dann möchten wir …
Das habe ich nicht mehr. Diese Träume sind begraben. Mit Steffen. In Ebersbach.
Natürlich ist jetzt die einmalige Chance für einen Neustart, aber wie sieht der genau aus?
Liebe Dana, ich weiß wie sich das anfühlt, weil ich selbst gerade das Liebste durch den Tod verloren habe. Ich weiß auch wie es sich anfühlt mit dem Hintergedanken, sich vielleicht auch aufgrund der Diagnose Lungenkrebs bald von dieser Welt zu verabschieden. Auch wenn es mir momentan körperlich recht gut geht, so weiß ich auch, dass die Sterblichkeitsrate bei dieser Krebsart doch am höchsten ist. Es ist so, wie Du schreibst, jeder hetzt weiter vor sich her, die Vöglein singen und man selbst liegt am Boden. Die Leute meinen immer vom Äußeren ins Innere eines Menschen schauen zu können. Aber das können sie nicht. Nur weil Du reist und mit uns Deine schönen Erlebnisse teilst, heißt es nicht, dass Dein Gefühlsleben wieder unbeschwert und frei ist von Sorgen und Nöten. Es ist schade, dass bei Dir das Amtsgericht genau ins Klischee gegriffen hat. Oberflächlich, bürokratisch, Nummer, abheften, fertig, abgehakt, weg damit.
Ich mag keine Oberflächlichkeit. Und auch ich möchte manchmal jeden, der mich neugierig (aufgrund meiner Akne, Nebenwirkung dank meiner täglichen Chemotablette) anstarrt „infizieren“, soll er doch mal einen Monat lang in meinen Mokassins laufen.
Menschen, das Böse daran, ist das Dumme darin!
Du kannst die Menschen nicht ändern. Es gibt zu wenig Gute.
Ich wünsche Dir ganz viel Sonnenschein auf Deinem weiteren Weg.
Alles Liebe, Ela
Liebe Ela, danke für Deine lieben Worte!
Die gute Sache ist jedoch, dass ich seit Steffens Tod unglaublich viele gute Erfahrungen und Bekanntschaften mache. Aber dieser eine negative Kontakt ab und an, der fordert eine um einiges mehr. Warum, weiß ich nicht. Warum das Böse so viel mehr triggert, als das Gute? Vielleicht weil es einfacher ist, zu hassen anstatt zu lieben.
Und alles was von der Norm abweicht, wie deine Akne zum Beispiel, was nicht weichgezeichnet und gephotoshopped ist, wirkt irritierend. Ist es ansteckend? Kann ich es auch bekommen? Keiner hat mich dann mehr lieb, wenn ich so aussehe. Lauter solche Muster gehen durch unser Hirn.
Parallel achtet man ja auch zuerst auf sich selbst, man denkt, jeder guckt einen deswegen an und wertet dich. Aber vielleicht sehen es die anderen aber gar nicht?
Das Leben ist manchmal ganz schön schwer. Aber auch sehr oft sehr schön.
Gedrückt!
Alles Liebe,
Dana