Heute ist Montag. Ein wunderbarer Sommertag. Ich mache uns einen Smoothie und mal wieder Porridge mit Haselnussmilch und Darmaufräum-Flohsamen.
Da Steffen am kommenden Freitag erst den extrem wichtigen Termin mit dem Chefonkologen hat, wo besprochen wird, wie es weitergeht, haben wir noch ein paar Tage für uns. Wir befinden uns in der Wartephase. In der Wartephase von allem. Da ich nicht weiß, wie die Behandlung weiter geht, wie lange es dauern wird, ob Steffen wieder heil wird oder ob wir nur noch kurze Zeit haben, kann ich das Catering nicht weiterplanen. Jeden Tag, jede Stunde fast, treffe ich neue Entscheidungen und Überlegungen. Das Hirn rotiert und brummt:
- Arbeite (ich) wir nur noch paar Tage die Woche?
- vermieten wir die Cateringküche unter?
- vermieten wir Steffens Wohnung unter?
- stelle ich jemanden ein?
Aber eigentlich kann ich gar nicht an Arbeiten denken, an Kreativität, neue Rezepte, neue Foodideen. Und das Hirn ist komplett blockiert vor Sorge um Steffen. Das ist aber auch das einzige Gefühl, welches möglich ist, der Rest ist Gleichgültigkeit.
Hinzu kommt diese für mich unerträgliche Hitze, ab 28 Grad aufwärts werde ich zickig. Sehr gute Vorraussetzungen für die Arbeit in der Küche, aber in der Küche gilt das nicht, denn da reagiert das Adrenalin und man spürt nichts, keinen Hunger, keine Hitze, nur Zeitdruck. Die jeweiligen verdrängten Gefühle lässt der Körper dann am Folgetag raus. Monsterhunger, Erschlagenheit und rissige Lippen.
Aber glücklicherweise haben wir in diesen Wochen wenige Aufträge. Wir wollten eigentlich bis Anfang August „Ferien“ machen, also nur kleine Daueraufträge wie die BlueManGroup bearbeiten und ansonsten frei machen, an den See fahren, in Museen gehen, StandUpPaddeln. So ganz normale Dinge halt.
Aber normal funktioniert bei uns einfach nicht, also machen wir nur Krebs. Und heute und morgen sind halt keine Aufträge. Das ist hilfreich.
Daher gönnen wir uns heute jeder einen Tag für sich. Das tut auch not, so ein klitzekleines Gefühl von Normalität. Steffen dachte ja bis vor einer Woche, dass er nicht mehr seine Wohnung sehen würde, also freut er sich tierisch dass er heute zu sich fahren kann und aktiviert den ganzen Tag seine Playstation, ich kümmer mich um mich. Das bedeutet, erst einmal sinnlos in den Monitor starren, Essen und später zum Friseur gehen. Dort lasse ich mir wieder eine Brett-Anderson-Gedächtnis-Frisur verpassen. Die 90er haben angerufen…
Die letzten Tage habe ich mich nicht wirklich um mein Äußeres gekümmert, es war mir alles so egal, alles war zweitrangig. Durch den Stress habe ich dann auch mal eben 2 Kilo verloren. Aber wie sagte einmal eine gute Freundin: sei froh, wenn Du was mehr drauf hast, wenn es Dir mal richtig Scheiße geht oder Krebs hast, verlierst Du die Pfunde von ganz alleine. Recht hat sie.
Nachmittags direkt nach dem Friseur ruft mich ein lieber Freund an, und fragt, ob ich Bock auf Treffen im Biergarten habe. Ich war zwar schon wieder im Wohlfühlfaulmodus zuhause, aber hey, Freunde sind wichtig. Ich frage noch schnell Steffen, aber er ist im Playstation- und Plattenhören Universum. Bei der Nasen-OP hatten Sie ihm ja auch das Wasser aus den Ohren gelassen, das sich durch die geschwollenen Lymphe angestaut hatte – medizinisch „Paukenerguss“ – und nun kann er endlich wieder hören.
Merke: Paukenerguss hat nichts mit Blasmusik zu tun!
Und Steffen liebt Musik abgöttisch, genau so wie er seine Plattensammlung liebt. Er bewegt sich nur kurz nach draußen um sich lecker philippinisches Streetfood auf der Straßenseite gegenüber zu holen.
Also lockt ihn kein Bier der Welt heraus in die gleißende Sonne.
Ich schnapp mir mein Rad und fahre die 6 km bei brütender Hitze in den Schleusenkrug. Wir finden ein Plätzchen direkt am Wasser und ich trinke mit den Jungs Bier und esse Würste. Das tut not.
Auch hier gilt wieder, nicht die sozialen Kontakte vergessen!