Das Seminar

Das Seminar

von | Nov 5, 2019

Geh doch mal unter Leute, hat die Psychologin gesagt. Mach mal was Neues, hat sie gesagt. Sie hat ja Recht, wie soll ich auf eine Idee kommen, was ich eigentlich tun will, wenn ich nicht für neuen Input sorge. Also ging ich gestern auf ein Seminar. Welch Zufall, dass gestern auch noch der nationale Skeptikertag war (in den USA).

Wie es dazu kam


Vor einer Woche lag ich bierschwanger in meinem Bettchen und wählte mir die Finger auf meinem Touchscreen wund, da mich mein albernes Hirn einfach nicht schlafen lies. Zwischen den ganzen Instagram-Posts ploppte eine Werbung auf: Schwarz mit Gold, wertig, und mit Zeitbegrenzung.

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Und das ganze kostenlos?

Limitiert und exklusiv?


Meine Skepsisschranke war dank des vorherigen Bierkonsums am Boden und so klickte ich mich spontan durch das Anmeldeformular, zumal mich der Countdown, der rechts oben in der Ecke lief, subtil unter Druck setzte.

Gut, wieder was erledigt. Jetzt konnte ich endlich einschlafen.

Der Morgen danach

Am nächsten Tag realisierte ich jedoch, dass ich zum Zeitpunkt des schlaf- und biertrunken gebuchten Seminars doch schon einen Friseurtermin haben würde.

Umbuchen ging jedoch komischerweise auf deren Seite nicht, man wurde direkt auf eine statische „hey, in wenigen Tagen bist du der voll krasse Millionär“-Seite umgeleitet. Also buchte ich mich einfach an dem Tag in die zweite mögliche Veranstaltung ein, die am Abend stattfinden würde. Dies ging als „elitärer Terminbucher“ jedoch ohne weiteres.


Der Tag des Seminars


Irgendwann nachmittags bekam ich einen Anruf mit unterdrückter Nummer. Normalerweise gehe ich da nicht ran, weil sich dahinter meist irgendein Scheiß verbirgt: entweder Microsoft persönlich, die mit mir ein Security Issue besprechen möchten oder es ruft eine indische Aktiengesellschaft an, die meine Company in ihren Pool aufnehmen möchte, aber nur mit dem Geschäftsführer (männlich! man verhandelt nämlich nicht mit Frauen) sprechen will.

Ok, ich gehe ausnahmsweise an diese unbekannte Nummer ran und siehe da, die Sekretärin der Abendveranstaltung fragt mich, ob ich denn nun wirklich am Abend kommen würde, weil ich ja mittags schon nicht dabei war. Ich bejahe.

Das muss ja wirklich ein ganz krasses Ding sein!

Der Hinweg

Pünktlich stapfe ich los, die zwei Kilometer zum Westin Grand Hotel laufe ich zu Fuß. Ich muss den Expansionskurs meines Körpers etwas aufhalten.

Herbstabends durch das dunkle Berlin zu gehen, über die glitzernde Friedrichstraße hat auch ein bisschen was von Urlaub. Debil grinse ich. Ich habe das Gefühl, dass Steffen bei mir ist und wir heute einen guten Abend haben werden. Die Skepsisbarriere ist wieder vernünftig hochgezogen.

Und obendrein habe ich das Gefühl, ich werde heute irgendjemand interessantes kennen lernen. Ich bin auch gespannt, was da überhaupt für Leute kommen werden. Ich bin neugierig aufgeregt.

Im Westin Grand Hotel

Pünktlich komme ich am Westin Grand Hotel an. Ich kenne die Ecke, wir haben hier oft hin ausgeliefert. Doch heute gehe ich in dieses sehr schöne Hotel mit der beeindruckenden Lobby hinein.

Leise dudelt Loungemusik – Steffen wäre ausgeflippt, haha – wichtige Menschen unterhalten sich leise. Alles ist in beige, gold und braun gehalten. Die Teppiche sind schwer und fluffig. Alles wirkt teuer. Und auch irgendwie wie ein zweites Zuhause.

Ich fange an Hotels zu lieben, da sie diesen abstrakten Zuhausemoment á la Steven King generieren. Wenn man in einem Hotel dieser Klasse steht, sieht es in ähnlichen Hotels auf der ganzen Welt in der Lobby genau so aus. Nur wenn man dann das Gebäude verlässt, ist man woanders. Ein Hotel ist wie ein Raumschiff, in welchem du immer wieder in die vorgegaukelte Sicherheit zurückkehren kannst. Es riecht immer gleich, das Essen ist immer sehr ähnlich. Die Musik ist immer dieselbe. Die Menschen auch. Die Servicekräfte sind stets freundlich, auch wenn du ein Arschloch bist. Ich liebe Hotels.

Ich denke mir so: was für ein Aufwand wurde hier betrieben, dass dieses kostenlose Seminar gerade hier, in diesem luxuriösen Hotel, stattfindet! Man soll sich wahrscheinlich schon subtil dazugehörig fühlen, zu diesen tollen reichen Menschen hier in der Hotellobby. Denn wenn Du alles richtig machst, gehörst du ganz sicher bald dazu!

Der Empfang

Ich gehe zu dem Seminarraum. Davor sitzt eine schöne kanadische Dame an einem Counter. Sie fragt mich nach meinem Namen und macht daraufhin ein Häkchen auf der Teilnehmerliste.

Im höflich-uninteressierten Duktus sagt sie überschwänglich begeistert „wow, your perfume smells amazing“ ohne es eigentlich so zu meinen. Ich kenne das mittlerweile, ich finde, das ist so typisch nordamerikanisch. Viel blablabla ohne Inhalt, oberflächlich und freundlich, aber man fühlt sich auf subtile Weise erwünscht und willkommen. Das reicht meiner dankbaren nach Bestätigung hungernden Seele, um sich wohl zu fühlen. Man muss sich ja nicht immer gleich anknurren und hassen. Geht auch mal so. Nett halt.

Nun gut, ich bin etwas zu zeitig und setzte mich in ein bequemes Sitzmöbel einige Meter vom Counter mit der schönen Dame dahinter entfernt und beobachte neugierig, wer denn jetzt so an Gästen eintrudelt.

Es sind auf alle Fälle mehr Frauen als Männer dabei, verschiedenste Nationalitäten sind vertreten und alle möglichen Hautfarben. Das Alter rangiert zwischen 20 und 60 Jahren. Ich denke, wir sind insgesamt ca. 30 Personen.

Da sind einerseits die stillen introvertierten Schriftstellertypen und andererseits Businessmenschen in feinen Hemden. Unternehmer, Angestellte, Studierende. Eine bunte Mischung.

Der Seminarraum

Irgendwann geht es in den Seminarraum „Diana“. Die Decke ist aus dunklem Holz mit Schnitzereien, an den hell getünchten Wänden hängen ausgestopfte Rehtiere. Das Hotel macht hier ganz auf mondänes Raucherzimmer.

Dieses aufkeimende Gefühl wird jäh zerhackstückt mittels Bankettstühlen, die in Reihen aufgestellt sind, vorn hängt eine Leinwand. Ein Flipboard brüllt „Bald bist du Millionär, reich, sofort“.

Ich schmunzele und setze mich in die letzte Reihe. Auf den Stühlen liegen Anmeldeformulare für das eigentliche Seminar, welches am kommenden Wochenende hier im Hotel stattfinden wird.

Wissen im Gegenwert von 17.000 EUR wird einem zu einem Special Price von schlappen 2.500 EUR in diesem Wochenendseminar angeblich vermittelt. Ein Schnäppchen also. Ok, sagt mein Hirn, und macht einen Haken dran. Das soll uns also hier heute Abend verkauft werden, denn diese Frage stellte sich mir die ganze Zeit: „was genau will man mir hier verkaufen?“. Ich bin jetzt gespannt wie dies geschehen soll, denn man wird ja nicht dümmer.

Eine Frau setzt sich in die selbe Reihe wie ich. Sie schaut genauso skeptisch wie ich und lächelt mich an, ich lächele zurück. Wir sind uns direkt sympathisch und rücken zusammen.

Das Seminar

Dann geht es los.

Der Opener

Die Dame vom Einlass, die Sekretärin wie ich dachte, ist – oh Wunder – Schriftstellerin mit einem unglaublichen Bestsellerbuch „Wild Woman“ oder so. Ach ja, sie ist übrigens farbig. Das tut nichts zur Sache, aber alles sieht ein bisschen Beyonce aus. Gerade schau ich durch Amazon, ich finde das Buch nicht, ich hätte es Euch gezeigt! Sie ist natürlich Millionärin. Natürlich.

Ich denke mir so, wäre ich Millionärin, würde ich nicht in einer Hotellobby Listen abstreichen, ich würde den Sand von meinen Füßen an irgendeinem Strand abstreichen.

Neugierig machen und Emotionen wecken

Danach folgt ein Video von demjenigen, der dieses Buch The Secret verlegt hat. Er sagt, dass der Mensch, der hinter diesem Seminar steckt, ein ganz super Typ ist, einfach unfassbar toll und überhaupt. Und obendrein ist er wohl auch ein ganz toller Familienmensch, der Supertyp.


Um das zu beweisen folgt ein Video mit Babies die im Arm irgendeiner Frau liegen – ach ja, das ist übrigens die Enkelin? Tochter? vom Supertyp. Die Babies machen süße Kinderquietschgeräusche.

Ein Viertel der Seminarteilnehmer so „oooooch wie süß“ – bumm, abgeholt. Diese Falle funktioniert bei mir nicht, ich bleibe skeptisch.

Der Supertyp

Dann, yeaaah, kommt dieser Supertyp, der ganz rein zufällig
heute hier in Berlin ist. Yeah! Große Freude, Applaus. Nur für uns!

Dieser Supermillionär, dieser Teufelskerl, der uns nun eine halbe Stunde lang vorrechnet, wie er jeden Monat, jede Woche, hey sogar jetzt! gerade! Unmassen Geld verdient!

Und er ist nun hier für uns, um uns aus purer Nächstenliebe und der Idee, nur Gutes zu tun und um uns auch die Möglichkeit zu geben, genau so reich zu werden wie er. Was für ein Supertyp!

Nach jedem zweiten Satz sollen wir klatschen, yeah rufen oder einen Arm heben, wenn alltägliche Fragen gestellt werden, die wir bejahen können. Man kann alle Fragen bejahen. Viele machen begeistert mit. Das fasziniert mich auch.

Er fragt, wer schon in ähnlichen Seminaren war. Fast alle Hände gehen wieder hoch. Ok, das erstaunt mich jetzt ein bisschen. Ist so das Ding jetzt mit der Selbstoptimierung, so Seminare, scheint es.

Er haut weiter auf die Kacke, zeigt sein Privatjet, pranzt rum, dass Sushi am besten im Privatjet schmeckt. Dann folgen Bilder von sich mit Richard Bronson. Dem folgt ein Video von einem ganz berühmten Sporttyp, den ich nicht kenne, und der Sporttyp erzählt uns, warum der Supertyp so ein Spitzentyp ist.

Gratistipps

Dann verrät uns der Supertyp ein paar Marketingtricks, so ganz dolle gratis. Als Teaser für das teure Seminar, wir müssen ja trotzdem nicht unterschreiben. Wäre aber auch ein bisschen gemein, nicht zu unterschreiben, er gibt uns ja soviel gratis, sagt er.

By the way.: diese Marketingtricks, die der Supertyp uns verrät, gibt es so auch bei verschiedenen Videos bei youtube.de gratis.

Die eigentliche Message des Seminars

Im Grunde genommen geht es eigentlich die ganze Zeit darum, reißerische Sachbücher zu schreiben, drucken zu lassen und diese dann zu verschenken. Um dadurch dann irgendwann Geld zu verdienen, indem man danach Seminare über den Inhalt des Buches macht. Und andere Sidehuzzles generiert. Sidehuzzles? Sidehuzzles! Geil!

Die Masche

Die ganze Zeit versucht eine Dame aus dem Publikum, eine Psychologin, die wahrscheinlich ein wirklich gutes Buch schreibt, wichtige Fragen zu stellen und wird höflich süffisant ruhiggestellt. Alle relevanten Fragen werden auf „am Schluss“ verschoben. Das Ganze geschieht ganz nebenbei, jovial und locker. Ich greife kurz vor: „am Schluss“ wird übrigens nicht öffentlich stattfinden. Warum sollte er mit uns auch jetzt schon wirklich wichtiges Wissen teilen sollen.

Jetzt kommts:

Irgendwann neigt sich die Veranstaltung dem Ende zu, nochmal werden wir vollgeballert mit süßen Katzenvideos, esoterischen Einpeitschsprüchen und wie unglaublich dieses Seminar am Wochenende für nur 2.500 EUR werden wird. Und weil er so lieb ist und nur noch 5 Plätze für das Wochenendseminar frei sind, können diese fünf Personen, die Auserwählten, für unglaubliche schlappe 500 EUR statt 2.500 EUR an dem Seminar teilnehmen.

Oh, wie schade, ich bin an diesem Wochenende nicht da. Sarkasmus off.

Das Ende

Die Veranstaltung ist nun vorbei, wer will, kann das Formular ausfüllen und soll noch kurz da bleiben.

Ich unterhalte mich derweil mit meiner Sitznachbarin. Und sie ist wirklich toll. Das ist der interessante Mensch, den ich heute kennen lernen sollte.

Der Supertyp kommt nun zu uns, und fragt was uns tolle Ladies hierher führen würde. Er hofft, uns noch für das Seminar begeistern zu können, da nicht viele das Seminarformular ausfüllen.

Magic

Ich spreche meinen magischen KO-Satz aus, der macht, dass die Menschen ihr wahres Gesicht zeigen:

„Mein Mann ist vor einem halben Jahr gestorben, ich orientiere mich gerade neu, weil ich nicht weiß, was ich jetzt machen will“

Die direkte Reaktion auf so einen Satz kann niemand steuern und macht mir das Leben einfacher, weil dieser Satz stets die nackte, manchmal hässliche Visage der Wahrheit zeigt. In den ersten Millisekunden der Reaktion kannst du kurz in das fein versteckte Innere deines jeweiligen Gegenübers schauen.

Es folgt ein „Oh, I´m so sorry“, eine kurze Pause, in welcher das von mir Gesagte verarbeitet wird. Nach wenigen Sekunden Denkpause erzählt er uns, wie ein Jungspund ganz viel Geld mit einem Buch über das „Autos verkaufen“ scheiße reich geworden ist.

Meine Nachbarin und ich gucken uns an. Ich so zu ihr: wir trinken jetzt ein Bier, oder? Sie so „ja“. Wir verlassen den Raum und verabschieden uns. Er reagiert kaum mehr auf uns, als wir an ihm vorbei aus dem Raum gehen.

Ausbeute des Tages

Vier Menschlein sind heute in sein Netz gegangen. Das sind auch schön verdiente 2000 EUR an einem Abend.

Ich werde die 500 EUR, die ich heute gespart habe, in einem WTF-Fond anlegen.

Wir Mädels sitzen dann noch mehrere Stunden in der Hotellobby und quatschen und quatschen. Ich denke, das kann eine Freundschaft werden.

Ich liebe Berlin.