Meine erste Ablieferung heute am 06.09.2018 habe ich zu 10:00 Uhr in Dahlem und die zweite Auslieferung dann gleich zu 11:00 Uhr in Mitte.

Das bedeutet, dass ich im Berufsverkehr 08:45 Uhr in Weißensee schon starten muss, denn um diese Uhrzeit brauche ich gut und gerne über eine Stunde für 20 km. Bis dahin muss also das Essen für alle beiden Aufträge fertig sein, da ich dazwischen keine Möglichkeit habe, nochmal in die Küche zu fahren, ich beginne also schon 05:30 Uhr. Der Wecker klingelt dafür 04:30 Uhr, denn das Einkaufen in der Metro kann ich mir wegen gestern sparen. Ich denke mir so in meinem jugendlichen Leichtsinn, drei Stunden sollten eigentlich für diese beiden Aufträge reichen.

Es wird doch stressiger als gedacht, bei jedem Auftrag unterschätze ich, dass ich doch ganz alleine in der Küche bin. Immernoch! Für Immer?

Die größten Zeitfresser sind dabei so monotone Arbeiten wie Brötchen schmieren und Spieße bestücken. Und stets muss nach jedem Arbeitsschritt abgewaschen werden. Steffen mit seinem Dresdener Putz-Gen war dafür prädestiniert, denn ich habe da eher die Denkweise, erst muss der Auftrag fertig werden und der Kunde zufrieden sein, dann hat man den ganzen restlichen Tag zum Saubermachen.

Aber pünktlich 08:45 Uhr rolle ich vom Hof und bin kurz vor 10:00 Uhr pünktlich an der Freien Universität in Dahlem angekommen. Endlich lerne ich die Bestellerin persönlich kennen. Seit Jahren bestellt sie bei uns und ich kenne daher alle Kunden nur vom Telefon oder über den Mailkontakt.

Und das ist gerade das spannende an dem erzwungenen Rollentausch so ohne Steffen, dass ich die Gesichter zu den Stimmen kennenlerne. Obwohl wir uns noch nie gesehen haben, drücken wir uns, als würden wir uns schon lange kennen, alles ist herzlich. Da sie durch unseren Internetauftritt Bescheid weiß, dass Steffen Krebs hat, fragt sie nach, wie es ihm geht. Das ist, glaube ich, unser kleines Firmengeheimnis, wir haben zu jedem Kunden irgendwie eine persönliche Verbindung.

Tod durch abwaschen

Dann geht es wieder zurück nach Berlin-Mitte, den zweiten Lieferauftrag erledige ich auch noch schnell und fahre direkt zurück in die Küche, der Abwasch macht sich ja schließlich nicht von allein. Wenn ich irgendwann sterbe, steht auf meinem Grabstein

„Die Arbeit höret nimmer auf“

Wahrscheinlich steht in meiner Privathölle ein großer Trog mit Abwasch von vor 10 Tagen ohne heißes Wasser, Spüli und ohne Abwaschhandschuhe bereit. So dass sich beim Abwaschen meine Haut an den Händen löst wie Handschuhe. Aus Haut. Für immer. Wiederkehrend.

Steffen müsste jetzt auch langsam wieder zuhause sein, da er heute endlich wieder aus der Charité entlassen wird. Wir schreiben uns kurz und ich liefere noch alles für die Blue Man Group aus, was ich in der Zwischenzeit auch noch alleine erledigt habe.

Alles in allem ist es ein ganz schönes Gebuckel. Das ganze schwere Zeug schleppen, den elendig schweren Rollwagen aus dem Auto hieven, aufklappen. Treppauf und Treppab mehrere 15-Kilo-Kisten schleppen. Das Auto wieder vollladen, Dinge im Auto hin- und herziehen. Und das ganze dann heute 6 mal. Mein Rücken meldet sich und ich bin völlig schlapp.

Als ich endlich mit der Blue Man Group fertig bin, steige ich ins Auto und checke die WhatsApp-Nachrichten. Steffen hat an unsere Familien geschrieben. Es steht da

„Da ich die Chemotherapien so gut vertrage und mein Körper sehr gut darauf anschlägt, wurden für mich weitere 4 Chemotherapien angesetzt, die letzte Chemo ist somit am 22.11.“

Mir wird schlecht.

Es waren doch immer nur zwei Chemotherapien anberaumt, das war ja jetzt gerade die 2. Chemotherapie. Ich dachte, jetzt gibt es einen neuen PET-Scan-Termin oder ähnliches und dann haben wir alles hinter uns. Steffen hat doch alles so gut vertragen, ich dachte die ganze Zeit: „vielleicht war es das schon?“

Mir war klar, dass die ganze Sache nicht so schnell erledigt sein würde, aber insgeheim habe ich schon mit Steffen irgendwie im Oktober gerechnet. Steffen geht es doch so gut! Der ist doch fitter als ich! Als ich es nun schwarz auf weiß im Handy sehe, trifft es mich hart.

Ich fahre nach Hause. Steffen liegt im Bett, er ist auch geschlaucht von seiner Heimfahrt. Die Nebenwirkungen der 2. Chemotherapie werden jetzt wieder losgehen.

Minizusammenbruch

Ich werfe mich zu Steffen dazu und fange an, Rotz und Wasser zu heulen. Ich bin körperlich fertig, und der Gedanke, dass ich das alles alleine so noch viel länger allein weiter machen muss, ist entsetzlich. Mein Leben besteht nur noch aus Arbeit. Arbeiten für zwei. Da gibt es nichts schönes mehr.

Steffen versucht mich aufzubauen, aber wenn ich auf der dunklen Seite bin, holt mich so schnell nichts mehr zurück. Selbstmitleid ist auch Liebe. Schlimmer noch, ich trinke den restlichen Weißwein aus, der da seit Tagen im Kühlschrank steht. Der überhaupt nicht mehr schmeckt. Alkohol schmeckt nicht mehr!

jetzt bekomme ich durch den Alkohol auch nur noch Kopfschmerzen pur, ohne die bekannte Erlösung durch Rausch und Freude davor.

Ich kann auch nicht schlafen, ich bin völlig fertig.