Heute ist Steffens 40. Geburtstag und ich kann jetzt schon sagen, dass wir uns beide nicht einmal in unseren dunkelsten Träumen vorstellen konnten, dass an diesem Tag Steffen mit Krebs und einem akuten Nierenversagen im Krankenhaus liegen würde.

Im Februar diesen Jahres, als an das alles noch nicht im geringsten zu denken war, hatte ich ein Zimmer in einem Romantikhotel in Thüringen für uns gebucht, wunderschön mit Kamin und Lagerfeuer und einer guten Küche. Das habe ich natürlich längst storniert. Aber dass wir Steffens Geburtstag so, nämlich gar nicht, feiern, das hatte ich nun auch nicht gedacht.

Steffens Geburtstag

Ich wache schon um 6 auf und weiß nicht was ich tun soll. Ich liege allein im Bett, draußen ist es dunkelgrau. Steffen ist immer noch im Krankenhaus und schaut in denselben dunkelgrauen Himmel. Ich muss weinen. Steffen tut mir so leid, ich tu mir leid.

Aus der Ferne gratuliere ich ihm schon einmal via WhatsApp, ich weiß nicht, ob er schon munter ist. Aber natürlich ist er es. Steffen ist gleichzeitig wie ich wach geworden. Wie immer. Das ist verrückt.

Es ist noch dunkel, ich tue das, was mich sicher fühlen lässt. Ich lese ein Buch im Bett. Eine Brett-Anderson-Biographie, Ikone meiner Jugend. Ich habe mir seit langem mal wieder Bücher online bestellt.

Aber während des Lesens pieken sich Gedanken in mein Hirn: in der Küche muss ich ja noch abwaschen, das Geschenk für Steffen will besorgt werden, die Wäsche will gewaschen werden und ich muss noch einkaufen. Fahre ich gleich zu Steffen, oder mache ich die Buchhaltung und die Angebote. Worauf ich aber alles keine Lust habe. Ich habe gerade so keine Lust zu arbeiten.

Soviel Unachtsamkeit hat die Biographie nicht verdient. Aber ich komme auch nicht aus dem Bett los.

Steffen ist ja heute eh im Krankenhaus, so habe ich alle Zeit der Welt, um klar zu kommen.

Nach einem Kaffee fahre ich direkt in die Küche und wasche den ganzen Scheiß von Gestern ab. Um 10:00 Uhr bin ich wieder zuhause und frühstücke. Ich mache den Fernseher an und schaue Sendungen über Wiener Friedhöfe. Wir beide lieben Wien und seine Friedhöfe und ich heule schon während der Sendung, weil ich unsere gemeinsame unbeschwerte Zeit in Wien so sehr vermisse. 

Überraschung

Auf einmal klingelt das Telefon. Es ist Steffen. Er darf nach Hause, er wurde beurlaubt, da er ja Geburtstag hat!!! Wie geil ist das denn? Ich kann es gar nicht fassen und weiß vor Schreck nicht, was ich tun soll und esse erstmal in Ruhe mein Brötchen auf und versuche die Information zu verarbeiten. Doch plötzlich springe ins Auto und fahre ihn abholen. Im Radio läuft „Marie“ von AnnenMeyKantereit. 

Das Lied wird für mich für immer mit diesem Moment verbunden sein. 

Steffen steht vor der Charité und telefoniert mit seiner Familie. Sie gratulieren ihm alle zum Geburtstag. Ich lade ihn ein und heule. Wir fahren rechts ran, er telefoniert und heult und ich heule. Irgendwann ist er fertig und wir umarmen und küssen uns und gucken uns an und können es gar nicht fassen, dass er heute raus darf. Wir heulen.

Er erzählt mir alles, dass der gestrenge Arzt mit ihm Mitleid hatte und ihn wegen seines Geburtstages für heute beurlaubt hat. Die Auflagen sind lediglich 4 bis 5 Liter Flüssigkeit zu trinken und morgen früh zu 08:00 Uhr im Krankenhaus zur Blutabnahme zu sein, damit die Nierenwerte gecheckt werden. Das schaffen wir! Wir kaufen daher noch etwas Säfte und Tees ein, damit Steffen genug trinken kann und fahren nach Hause.

Steffen geht zuhause als erstes in die Wanne und zieht sich frische Klamotten an. Danach geht es auf die Couch. Wir beide müssen überhaupt erst einmal begreifen, was passiert ist.

Plötzlich klingelt es an der Tür. Frau K. steht davor und bringt Steffen ein Geburtstagsmüsli und uns beiden unsere Lieblingsauberginencréme vorbei, „weil sie gerade in der Ecke war“. Jetzt heulen wir alle drei.  Freunde rufen an. Und als Krönung kommt Frau J. zu Besuch, sie ist gerade in in Deutschland (weil sie sonst in Amerika ist) und wir haben uns seit einem Jahr nicht mehr gesehen.

Es ist alles so schön und plötzlich wie immer. So als wäre gar nichts geschehen. Nur dass Steffen furchtbar blass und fertig ist.

Wir bestellen chinesisch, denn Steffen ist noch zu schwach um raus zu gehen, und danach geht’s gleich ins Bett. Glücklich.