Wie ich gestern schon angedeutet hatte, liegt heute am 11.08.2018 ein langer Tag vor mir. Im Grunde genommen ein kleiner Schritt zurück in die Realität. Aber wie dieser Tag am Ende ausgehen würde, konnte ich frühs noch nicht ahnen. Aber lest selbst:

Heute habe ich wieder regulär für die BlueManGroup zu kochen. Aber abends habe ich zusätzlich noch eine Auslieferung mit Fingerfood für ca. 20 Personen.

Fingerfood

Fingerfood sind kleinere kalte Häppchen wie zum Beispiel Bruschetta mit Tomate, Hühnchenspieße á la Saltimbocca, Schnitzelchen und Tomaten-Mozzarella-Spieße. Und natürlich Wraps, Tortillafladen mit verschiedenen Füllungen sowie obendrein noch 40 Desserts. Das ist natürlich aufwändig, aber mit dem richtigen Zeitmanagement eigentlich kein Problem.

Aus diesem Grund kann ich leider Steffen nicht aus der Charité abholen, daher hatten wir ja gestern schon seine Eltern darum gebeten, ihn heute nach Hause zu bringen.

Wegen des Aufwandes der in den kleinen Fitzelteilchen des Fingerfoods liegt, habe ich extra zeitig mit arbeiten angefangen, komme aber trotzdem ins Schwimmen. Es ist halt ein anderes Arbeiten, so ganz allein. Man unterschätzt, dass da keiner ist, der sich um die zeitaufwändigen Desserts kümmert, mal zwischendurch abwäscht und die sperrigen Chafing Dishes – die Warmhaltebehälter – zusammensucht und -baut.

Das Wunder

Vormittags schickt mir also Steffen die Nachricht, dass er nun draußen ist, da er aus der Charité entlassen wurde. Ich schicke ihm umgekehrt ein Video vom aktuellen Küchenzustand mit dem sich im Hintergrund gigantisch türmendem Abwasch, schmurgelnden Gemüsepuffern und einer Armada von noch zu schmierenden Brotscheiben. Er muss gleich weinen und bittet seine Eltern kurz, mit ihm zusammen zu mir in die Küche zu fahren.

Als es dann endlich so wohlig vertraut an der Tür klopft, muss ich auch gleich wieder weinen. Das ist das erste Mal seit einem Monat, dass Steffen wieder in der Küche ist und so klopft wie früher immer. Wie verrückt, dass ein so normaler Moment so eine starke Wirkung hat.

Verinnerlicht dir bitte, wie wichtig die kleinen Gesten und Momente sind, irgendwann werden diese Momente und Gesten bitterlich fehlen.  Seid dankbar für jede Sekunde mit euren geliebten Menschen, auch wenn diese manchmal nerven. Bitte vergesst das nicht.

Steffen kommt in die Küche, drückt mich dolle und übernimmt prompt das Küchenzepter. Er delegiert seinen Vater zum Abwasch und fragt mich, was noch zu tun ist. Ich weise auf die Mousse au Chocolat. Ich mag kein Dessert und auch kein Obst. Daher sind diese Tätigkeiten nicht auf meiner Arbeits-Wunschliste: Desserts umfüllen, Obstplatten machen usw.. Also nimmt Steffen seine Mama, drückt ihr den Rührstab in die Hand und weißt sie in dem an, was nun zu tun ist.

Innerhalb kürzester Zeit ist der Abwasch und das Dessert erledigt. Leise raunen die Eltern, dass so ein Catering ganz schön viel Arbeit macht und sagen, dass es vielleicht besser wäre, wenn ich damit aufhöre. Wer weiß?

Das ganze dauert nur 30 Minuten und schon fahren die drei wieder zu mir nach Hause. Ich verspreche dafür, zwischen der Auslieferung der BlueManGroup und der zweiten Auslieferung kurz zuhause vorbei zu kommen, da ich noch Schweinehack im Biomarkt kaufen will, da Steffen sich Jiaozi gewünscht hat. Und was der Krebskranke will, bekommt er auch.

Das nächste Theater

Als ich aus dem Fahrstuhl steige, riecht es wohlig nach Kaffee. Ich freue mich. Aber ich höre auch einen Staubsauger. Warum läuft in meiner Wohnung der Staubsauger? So schlimm sieht die Wohnung nun auch wieder nicht aus.

Steffens Mama macht gerade den Sauger aus, als ich die Tür aufschließe. Irgendetwas ist komisch. Ich schaue nach links ins Wohnzimmer. Steffen sitzt ganz kleinlaut auf dem Sofa. Sofort sagt die Mama: „ist alles nicht so schlimm, wir kümmern uns darum, das zahlt die Versicherung“. Steffen beginnt zu weinen. Was ist los?

Nun schaue ich nochmal richtig: die Wohnzimmertür aus Glas ist komplett zerschlagen.

Ok gut. Scheiße bin ich nunmehr gewohnt, denn ich wohne quasi tief in der Scheiße. Ich frage die drei jetzt nur, ob sie noch einen Kaffee für mich über haben und setze mich auf die Couch. Dabei bin ich komplett emotionslos. Es ist mir richtig egal. Diesen Zustand kenne ich noch gar nicht von mir.

Numb – das englische Wort trifft es am besten – gefühllos, starr, taub, benommen.

Was ist passiert? Steffens Mama hatte noch eine volle Plastikwasserflasche auf dem Arm, als sie nach Hause gekommen sind, die Stubentür war zu und die Flasche ist ihr aus dem Arm gerutscht und irgendwie in die Tür gefallen.

Ich trinke meinen Kaffee und muss wieder los machen, da ich noch nicht ganz mit dem Abendauftrag fertig bin. Da ich immer barfuß in meiner Wohnung laufe, trete ich mir natürlich noch einen Miniglassplitter in den Fuß ein.

Natürlich.

Der Abendauftrag

Später am Abend liefere ich dann diesen Auftrag das erste Mal in meinem Leben allein aus – also bei mir unbekannten Menschen allein aus.

Steffen steht als emotionale Verstärkung versteckt im Treppenhaus. Mit seiner kleinen Chemopumpe in seiner Hipsterbauchtasche. Er tut mir so unendlich leid.

Dann ist endlich Feierabend. Dieser Tag erfordert wieder eine ganze Flasche Weißwein in der Wanne, damit ich runterkomme.

Danach bekommt Steffen endlich seine geliebten Teigtaschen und vorher noch eine gesunde Misosuppe.

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