Lebensmüde
Jeden Morgen wachst du wieder auf, doch dein Mensch ist nicht da. Alles erscheint so sinnlos und du musst dennoch weitermachen. Es gleicht einem Todeswunsch nach dem Tod des Partners.Ich fühl mich so sehr des Lebens müde – eine tiefe Lebensmüdigkeit.
Am Morgen stolperte ich über einen Instagrampost, welcher mich seit langem in meiner Antriebslosigkeit in der Trauer abholte. Auf einer ganz tiefen Ebene fühlte ich mich endlich verstanden. Das erste Mal wird mein aktueller Dauerzustand benannt: ich fühl mich so oft so lebensmüde, des Lebens müde – eine tiefe Lebensmüdigkeit. Gleich einem Todeswunsch, nachdem ich meine Liebe verloren habe. Obwohl der Schritt zu extrem wäre.
Der Post hatte folgenden Wortlaut:
Not caring if you live or die (but not wanting to die)
Des Lebens müde
Und plötzlich kam mir die Erkenntnis! Ich fühle mich einfach nur noch lebensmüde, lebensmüde im Sinne des Wortes. Ich meine nicht suizidal!!!
Suizid setzt einen Willen zu einer finalen Handlung voraus. Diesen habe ich jedoch nicht, ich will mich nicht umbringen oder so.
Ich bin einfach nur gerade dieses Lebens müde.
Bitte jetzt nicht alle aufschreien und sagen, dass darf man nicht denken, das darf man nicht sagen! Dana, brauchst Du Hilfe? Soll ich vorbeikommen?
Bleibt alle wo ihr seid und lest ganz ruhig weiter.
Denn es ist recht gut so, wie es gerade ist. Mir geht es den Umständen entsprechend gut. Und in diesem Post lese ich nun, dass genau diese Lebensmüdigkeit in der Trauer vollkommen normal ist:
Es ist egal, ob ich tot oder lebendig bin
(ich möchte jedoch nicht sterben)
Man wacht morgens auf und sagt sich, „Na super, schon wieder ein neuer Tag“. Schlafen war jedoch viel schöner. Man rappelt sich auf, tut etwas, was einem Halt gibt und glücklich macht, aber alles was mir gerade Halt gibt und mich glücklich macht, ist scheinbar brotlose Kunst.
Schlaf ist gerade eher mein Fast-Forward-Modus zum Ende von dem ganzen Theater. Ich hoffe, damit das derzeit übelste – das Leben – zu skippen. Dorthin, wo es endlich mal wieder schöner ist.
Die Dinge, die einen früher angetrieben haben, sind komplett vaporisiert worden. Man sieht einfach den Sinn nicht mehr darin, sich für eine eventuelle Zukunft anzustrengen. Weil man ja gar nicht weiß, wie diese Zukunft aussehen soll. Noch ist man sich selbst nicht soviel wert, für sich einzustehen.
Also heißt es warten.
Und jeden Tag muss man wieder aufstehen, wieder sich mit den Gegebenheiten arrangieren und wieder kämpfen. Ich bin es so leid. Diesbezüglich fühle ich mich lebensmüde. Des Lebens müde.
Natürlich mache ich immer weiter und trabe stumpf weiter nach vorne und freue mich geradezu hysterisch über jeden albernen Glitzerstein auf meinem derzeitigen Lebensweg .
Ich bemühe mich trotz allem stets positiv zu sein, gebe anderen so viel positives Feedback, wie ich nur kann und schere mich nicht mehr darum, was andere denken, wenn ich wieder einmal albern grinsend die Straße entlang laufe und dabei meine Lieblingskrähen füttere.
Jeder Tag ist ein Kampf, um lebensmüde zu überleben.
Aber am Abend bin ich dann so froh, endlich wieder in mein Bett zu fallen. In dieses große kuschelige, weiche warme Bett, mit all seinen tollen Träumen darin, die mich aus dem Hier und Jetzt wegbeamen.
Will ich gerade nicht hören:
Manchmal treffe ich auf Menschen, die Sachen zu mir sagen wie beispielsweise:
„Du musst dich langsam wieder fangen, denn das Leben geht weiter.“
„Dana, du kannst doch nicht die ganze Zeit zuhause sitzen, du musst doch mal wieder arbeiten gehen.“
„Du brauchst einen festen Halt in Deinem Leben!“
„Arbeit wäre genau die richtige Ablenkung für Dich, da kommst Du auf andere Gedanken.“
Ich nicke verständnisvoll und weiß, dass sie ja eigentlich Recht haben, denn ich verstehe total, was sie mir sagen wollen. Und ich weiß, sie meinen es gut mit mir. Sie machen sich Gedanken. Aber das sind genau die Dinge, die man nicht hören will, wenn man lebensmüde ist. Denn das ist mir alles gerade dermaßen egal.
Denn es sind leider genau dieselben Sprüche, die ich gerne früher ungefragt gesagt oder gedacht habe. Deswegen kann ich die nicht wirklich übel nehmen. Aber jetzt sitze ich auf der anderen Seite und glaubt mir, so einfach ist das hier alles nicht.
Wie soll ich denn jemals aus meinem Kopf bekommen, dass Steffen tot ist? Der Mann, mit dem alles gut war, mit dem ich glücklich war? Switch off und weiter geht´s? Akzeptieren, vielleicht. Irgendwann möglicherweise. Aber vergessen?
Ablenkung von meinen Gedanken? Warum? Meine Gedanken sind für mich das Größte. Und man verarbeitet dieses furchtbare Ereignis nur, wenn man sich ständig mit sich selbst beschäftigt.
Wie geht das mit dieser Trauer?
Du hast selbst gerade so einen Verlust erlitten?
Wenn du dich wieder auf etwas freuen willst, dann sende ich dir jeden Montagmorgen einen neuen Denkansatz, der dir in deiner Trauer hilft.
Eine Nachricht voller Impulse, Ideen und einem Quentchen mehr Lebensfreude, prickelnd wie Champagner?
So dass du wieder etwas mehr Kraft für dein neues Leben findest und deine Gedanken wieder auf Vordermann bringen kannst.
Schau mal hier vorbei:
Achtung: kann Spuren von Humor und Positivität enthalten. Du könntest dich nach dem Lesen anders fühlen, also zuvor.
Keine Energie bei Trauer
Ich habe auch gar nicht mehr die Energie, mich in dem normalen Leben der anderen anzustrengen. Tagtäglich sehe ich auf der Straße die Menschen, die morgens ins Büro hasten und spät abends kaputt nach Hause kommen. Ich würde diese Stunden auf Arbeit überhaupt nicht durchhalten. Meine Aufmerksamkeitsspanne ist derzeit so furchtbar begrenzt, ich kenne mich so nicht.
Die großartigste Sache in meinem Leben ist zur Zeit, einfach auf dem Bett zu liegen und die Decke anzustarren und auf den Schlaf zu warten, denn es ist so schön da. Dort, auf der anderen Seite. Dort, wo alles immer noch so ist, wie es mal war.
In der aktuellen Weltuntergangsstimmung aus Sabine, Corona und beängstigenden Menschen, plärrt einem die Angst aus allen Medien entgegen. Alle haben Angst um ihr Leben.
Wieso haben die anderen solche Angst vor dem Tod? Seit Steffens Tod habe ich keine Angst mehr vor dem Sterben. Mittlerweile sind auf der anderen Seite mehr mir wichtige Menschen, als hier.
Mit dem Tod wäre das Theater hier endlich zu Ende. Welch herrliche Stille.
Rotwein
Also betäubt man sich mit einem schönen Rotwein, fühlt sich endlich wieder ein bisschen fast so normal wie früher, man lacht kurz wieder so laut wie früher und trifft sich mit Freunden. Die Lebensmüdigkeit ist plötzlich wie weggeblasen.
Aber der nächste Tag wird furchtbar mit furchtbaren Kopfschmerzen und dem Entschluss, nie wieder Alkohol zu trinken. Augenringe des Todes pockern am nächsten Morgen unter glasigen Augen. „Du bist keine 20 mehr, Frollein“ mahnt eine distinguierte Stimme in meinem Kopf.
Aber diese großartigen Abende mit Freunden schreien leider danach, in ihrer Glückseeligkeit durch Alkohol potenziert zu werden. Meine Seele giert nach Glück, Lachen und Liebe. Die Seele muss heilen. Deswegen wird die Glücks-Dosis künstlich mit Alkohol erhöht. Und so switcht man wieder direkt in den Selbstzerstörungsmodus.
Glück, Lachen und Liebe führt zu unkontrolliertem Konsum von Dingen, führt zu Selbstzerstörung.
Das ist der Grund, warum ich mich zurückziehe. Selbstschutz. Das vernünftige „ich“ will mich aus diesem Trudelkurs ziehen.
Also denke ich mir: Alle anderen sind scheinbar erfolgreich, busy und haben was in ihrem Leben erreicht. Sie strengen sich den ganzen Tag an, von früh bis spät. Das zu beobachten, bereitet mir Phantomschmerzen.
Ich werde niemals so ein Leben wie die anderen führen. Ich fühle mich, als stünde ich auf einer Plattform einer Bahnstation, welche der letzte Zug bereits vor 15 Jahren verlassen hat.
Und jegliche Erinnerungen an das alte Leben mit all seinem irrsinnigen Stress polken schwarze grindige Löcher in meine Magengegend und einen tiefen Widerwillen, genau dasselbe wie vor Steffens Tod wieder weiter zu machen. Das macht mich so lebensmüde. So satt. Ich habe das normale Leben so satt.
Das Neue?
Aber etwas Neues muss her. Aber was? Was nur?
Das Alte ist vorbei und ich will nicht mehr dahin zurück. Ich will das nicht weiter machen. Das alte Leben ist so sehr mit meinem Steffen verbunden, dass sich eine Weiterführung dessen einfach nur falsch anfühlt und weh tut. Ich habe es probiert, wirklich. Es geht nicht. Alles in mir widerstrebt dem.
Das Neue muss sich formen, entstehen und geboren werden und die derzeitige Ungewissheit, darüber, wie es weitergehen wird, macht mich fuchsig. Denn das Neue ist noch nicht wirklich da.
Dieser Zustand gerade ist toll und furchtbar zugleich.
Es ist schwer, einfach loszulassen und es auf sich zukommen zu lassen. Obwohl ich eigentlich weiß, dass es wie immer funktionieren wird.
Ich liebe es, zu schreiben. Das bereitet mir so große Freude. Diesen Blog zu schreiben und meine Bücher zu schreiben. Zuhause in meiner kleinen Welt zu sitzen und alles still zu beobachten. Tiefe große Freude.
Es wäre so schön, wenn das Schreiben meine Zukunft werden könnte.
Ist es in dem Buch irgend eine Art Versuche von dir mit der Lebensmüdigkeit umzugehen, die erfolgreich waren? Bzw. die dich aus diesem Zustand wenigstens für eine Weile herausbrachten, aber dann auch dich in der Zukunft änderten?
Ich glaube ich befinde mich in dem selben Zustand, weiß allerdings nicht warum. Niemand den ich kenne ist ums Leben gekommen, nur vielleicht mein altes Ich. Daher würde mich interessieren, falls du etwas über den Weg von diesem interesselosen Leben heraus weißt 🙂
Als Empfehlung kann ich sagen, in Netflix der Film After Life bringt schon eine schöne nützliche Perspektive.
Lieber Paul Lorber, nein, das Buch ist ein Reiseführer und Logbuch unserer letzten gemeinsamen Reise.
Zum Thema Lebensmüde möchte ich mittlerweile fast sagen, ich bin des Systems müde, in welchem wir leben. Aus der Lebensmüdigkeit kann ich mich selbst durch Kreativität und der stetigen Arbeit an mir selbst ziehen.
After Life ist wahrlich eine wunderbare Serie und ein sehr guter Ansatz. Das einzige, was dem Leben wirklich Sinn gibt, ist es zu lieben und anderen zu helfen. Nicht etwa zu konsumieren und dem Höher, Schneller, Weiter-Wahn zu folgen. Aber der Weg aus diesem Rad ist schwierig, denn wir müssen ja dennoch alle Miete usw. bezahlen.
Ich bin noch nicht fertig mit meinen Gedanken diesbezüglich.
Was hilft Dir?
Hallo Dana,
genau so wie Du es beschreibst fühle ich mich lebensmüde. Ich habe das mal gegoogelt und bin auf Deinen Blog gestoßen.
In der letzten Stunde habe ich viel bei Dir quer gelesen und sehe unglaublich viele Parallelen. Meine Frau ist dieses Jahr im Februar gestorben. Begonnen hat es 2016 mit metastierendem Brustkrebs. Da war sie 51. Auch sie schien, trotz verheerender Anfangsdiagnose, es geschafft zu haben. Bis 2019 Lebermetastasen auftraten und zum Jahreswechsel zu 2020 noch ein Hirntumor. Sie ist am 19. Februar in meinen Armen für immer eingeschlafen. Seitdem gehe ich durch ein Wechselbad und habe vieles von dem bei Dir gelesen. Danke dafür, es lässt einen sich nicht so allein fühlen, auch wenn mir viele Deiner Zeilen Tränen in die Augen getrieben haben.
Liebe Grüße,
Stefan
Lieber Stefan,
es tut mir so leid um Euch beide. Wie furchtbar! Ich bin froh, dass ich Dir mit diesem Blogeintrag und meinem Blog etwas Halt und Zuhause geben konnte. Glücklicherweise wissen diejenigen, denen so etwas noch nicht passiert ist, wie es sich von unserer Seite aus anfühlt. Und wir selbst fühlen uns so oft nicht verstanden. Und genau für solche Momente soll dieser Blog sein. Ich wünsche Dir weiterhin ganz viel Kraft, Selbstliebe und Achtsamkeit, um Dich in diesem neuen Leben zurecht zu finden.
Ganz liebe Grüße
Dana
Jammert nicht soviel. Habe das gleiche durch, bis ich eines Tages feststellen musste, dass es noch vieeeeeeeeeel schlimmer geht.
Es geht aber halt auch viel schöner
Liebe Andrea,
Reden ist silber, Schweigen ist Gold. Bitte reden Sie die Gefühle anderer nicht klein. Schlimmer geht immer und kann man weiter steigern bis ins Absolute.
Wenn man einen geliebten Menschen verlor, kann man sagen, dass es ja „zum Glück nur einer war. Manch anderer verliert die ganze Familie.“
Wenn jemand den Job verliert, kann man sagen „zum Glück nur der Job. Jemand anderem is der Job und der Partner flöten gegangen UND das Haus abgebrannt.“
Bloß weil jemand im Krankenhaus mit gebrochenen Beinen und Armen gleichzeitig liegt, muss nicht heißen, dass dem anderen Patienten daneben nur dessen gebrochene Nase nicht genau so weh tut.
Ich wünsch Ihnen, dass Sie dies berücksichtigen, bevor Sie solche Kommentare hinterlassen. Dies gilt nicht zur Belehrung oder „Cyberbullying“, wie immer man es nennen will. Dies gilt als wohlwollendes Mahnen, da ich solche Aussagen und Entwicklung mancher Menschen genau so müde bin wie diesen kontinuierlichen Verbesserungsprozess (höher, schneller, weiter) unserer Gesellschaft.
Bitte gönnen Sie anderen, ihren Schmerz frei teilen zu können, auch wenn Sie es nicht für angebracht halten, „sich so anzustellen“.
Viele Grüße
danke für die tolle Beschreibung. Trotzdem steht für mich am Ende lieber die unendliche Ruhe, die ist endlich unendlich schön…
Hallo Dana.
Ich bin Claudia.
Heute Nacht um 1.30 wachte ich aus einem Traum auf und hatte endlich ein Wort gefunden für meine
derzeitige Gefühlslage.
Lebensmüde.
Eingegeben bei der Suchmaschine.
Deinen Blogg gefunden und war so berührt von Deinen Worten.
Ja.
Des Lebens müde = nicht gleich suizidal.
Auch ich habe einen geliebten Menschen verloren. An den Tod.
vor nunmehr 2 Jahren.
Davor einen Menschen der eine Säule in meinem Leben darstellte
und noch mehrere, die ich an das Leben verloren hatte. Abschied.
Keine Rolle mehr in deren Leben spiele.
Nun nach 2 Jahren – auch durch die Wirren der momentanen Situation um uns herum- hat es mich zerlegt.
Liegen. Nicht weinen können. Müde sein. Fragen. Anklagen. Nicht fliehen. Keine Ablenkung erlauben.
Wochen- monatelang.
Und seit heute Nacht nun ist wieder ein Propfen geschmolzen.
Mir beim müde sein zuschauen.
Nicht eilen.
kein Flüchten.
Gnadenlos. Ehrlich und auch ungemein libevoll.
So vielen Dank für`s Teilen.
Mit herzlichen warmen Grüßen und Gedanken
zu Dir hin in die Nacht
claudia
Liebe Claudia, wow. Das berührt mich total! Ich wünsche Dir Kraft und Liebe und Geduld mit Dir! Wir stehen das durch.
Ganz liebe Grüße,
Dana