Ich habe heute endlich mal wieder frei. Wie schön. Was für ein perfekter Tag.

Ich kümmere mich um den Blog, Rechnungen, Angebote. Wenn ich autistisch vor meinem Rechner sitze, bin ich definitiv am glücklichsten. Man muss doch auch irgendwie so sein Geld verdienen können, verdammt?

Ich koche mir meinen Kaffee und stelle mich auf den Balkon. Also dort hin hinaus, wo ich noch treten kann.

In der Tat ist dieser Balkon im letzten Jahr sehr stiefmütterlich behandelt worden. Und welch Wunder, die komische Passionsblume, die ich im April eingepflanzt hatte und seitdem in astronomische Höhen rankte, presst eine Blüte raus. Und das Ende Oktober. Ich bin verzückt.

Um 10:00 Uhr realisiere ich, dass ich heute um diese Uhrzeit genau vor einem Jahr meinem gefühlten Tod von der Schippe gesprungen bin. Genau um diese Uhrzeit war die zweite Schilddrüsen-OP angesetzt, da bei der ersten schluderig gearbeitet worden war und ein Restfitzel übrig geblieben ist. Dieses Fitzel wächst halt so weiter vor sich hin und haut die Hormone hin und her und ich habe einen dicken Hubbel am Hals.

Eine clevere Ärztin hatte jedoch die Thyroxin-Zahl (Thyroxin ist das Schilddrüsen-Hormon, was man dann als Ersatz bei fehlender Schilddrüse einnehmen muss) erhöht und so ist der Hubbel zurückgegangen, also der Schilddrüsenfetzen kleiner geworden.

Die zweite OP sollte also zur Korrektur gemacht werden. An dem Tag trabe ich mit meinem Köfferchen in der Charité an, Steffen begleitet mich. Ich habe eine Todesangst, da niemand rekapitulieren konnte, wer mich eigentlich operiert hatte und wo jetzt die Nebenschilddrüsen liegen. Wenn man die verletzt, hat man das Leben lang übelste Krämpfe. Außerdem liegen die Stimmbänder so dicht, dass das Risiko einer Verletzung hoch ist. Und das gepaart mit meiner Fantasie. Ja ja, ihr habt Recht, gegen Steffens Krebs ist das Pipifax. Aber von dem Krebs wussten wir ja noch nichts, dass war halt der Endboss des letzten Jahres.

Schilddrüsenhorror

Bei der Aufnahme zur OP findet man meine Akte nicht. Ich soll mich erst einmal ins Wartezimmer setzen, man meldet sich bei mir.

Im Zimmer sitzen Menschen, die auch heute operiert werden. Nach und nach verschwinden diese nach einem tränenreichen Abschied von ihren Lieben in ein Umkleidezimmer. Eine weitere Stunde später werden diese Menschen frisch operiert in Betten weggefahren.

Mir ist heiß und kalt und ich habe Hunger.

Nach einer Stunde Wartezeit frage ich die Schwester, was den los ist. Warten Sie, der Doktor spricht mit ihnen, Sie können aber ein Wasser haben, sie werden heute nicht operiert. Ich schicke Steffen nach Hause. Große Erlösung aber auch Entsetzen. Ich hatte extra diese Woche arbeitsfrei geschaufelt, die anderen Wochen sind wir komplett ausgebucht. Steffen bekommt das Kochen doch nicht alleine hin. Panik.

Irgendwann kommt der Doktor. Er entschuldigt sich für die Umstände und sagt, er konnte die OP nicht verantworten. Ich hätte in einem Zwischenraum zwischen zwei Roboter-OP-Sälen gelegen und er wäre abwechselnd mit einer Spezialistin, die eigentlich heute aus Wien hätte einfliegen sollen, zu mir gekommen und hätte mich quasi zwischen Tür und Angel operiert. Jedoch kam der Flieger heute nicht, so dass er die OP hätte allein bewältigen müssen. Das konnte er nicht verantworten.

Also seht Ihr, es geht doch nicht immer nur um Geld.

Er schaut mich an und bemerkt, dass der Hubbel kaum noch sichtbar ist. Er meint, das könne man doch mit Tabletten regeln, dass muss doch nicht mehr operiert werden. Große Freude.

Ich verlasse die Charité, kaufe mir beim Bäcker eine Zuckerschnecke und Kaffee und setze mich an die Spree und versuche klar zu kommen.