Wie vermeidet man Vermeidungsstrategien beim Thema Trauer? Und was hat das Ganze mit einem Heftpflaster zu tun? Lest hier, was mir dabei hilft

Trauerschmerzen

von | Okt 6, 2022

Trauerschmerzen sind das, worauf dich keiner nach dem Tod deines Partners vorbereitet hat. Diese Schmerzen sind kaum auszuhalten und lauern hinter jeder Erinnerung. Kein Schmerzmittel hilft. Hier findest du ein paar Tipps um die schlimmsten Momente etwas erträglicher zu machen: 

Trauer und Verlust schmerzen dermaßen, dass man in eine gewisse Schockstarre gerät. Man kann nicht mehr dieses eine Lied hören, diesen ganz bestimmten Film sehen, an diesen einen Ort reisen oder das T-Shirt des Verstorbenen aus dem Schrank nehmen. Überall finden sich Trauerminen.

Über die Zeit nach dem Tod sammeln sich immer mehr solche Stellen und Gegenstände an. Die Zahnbürste, dieses eine Parfüm. Der Herbst. Jedes kleine Fitzelchen, dass an den Verstorbenen erinnert, will krampfhaft festgehalten werden, da man sich nicht mehr an dem Verstorbenen festhalten kann. Alles erinnert einen und man kann die Schmerzen kaum aushalten.

Man fängt an, all diese Situationen zu vermeiden und baut sich dadurch selbst ein Gefängnis aus Schmerz.

Aber was kann man gegen diese furchtbaren Trauerschmerzen tun?

Kannst du dich erinnern, als du damals als kleines Kind hingefallen bist? Knie wundgeschlagen und voller Heftpflaster. Schaust du gerade auf deine Narben am Knie? Ja, kenn ich.

Und wenn dann Mama kam, um das Heftpflaster zu wechseln, fingst du schon vorher an zu weinen. Wusstest du doch, wie weh das gleich tun würde, wenn Mama an das Heftpflaster abzog.

Ratsch – Aua – Pusten – neues Heftpflaster drauf – vorbei.

Instinktiv weißt du deswegen, dass das Wechseln des Heftpflasters nur mit einer schnellen Bewegung geht. Denn: Umso langsamer man das Heftpflaster abzieht, umso größer der Schmerz.

 

Es wird gleich weh tun – ich will das nicht!

Auch in der Trauer kann ich das System Heftpflaster empfehlen. Ein schmerzhafter Ruck, ein kurzes Zerren und so ganz einfach hart und bewusst in den Schmerz hineingehen.

Natürlich muss man sich darauf ein bisschen vorbereiten, da man sonst leicht vom Schmerz überwältigt wird und dadurch möglicherweise in das nächste Trauerloch fällt. Denk an die Situation die Mama um dich herum damals geschaffen hat:

Es war gemütlich in der Küche, irgendwas gockerte auf dem Herd. Vielleicht hast du auch auf deinem Bettchen in deinem Kinderzimmer gesessen. Egal wo, du warst sicher und geborgen.

Stimmung

Zuallererst sollte man in der richtigen Verfassung sein, um tiefgreifende emotionale Schritte zu unternehmen, damit man das Trauer-Heftpflaster abfetzen kann.

Nicht so ideal ist dafür der Zeitpunkt, wo man sich im Trauertal befindet und sich bereits tagelang komplett in seine Bettwäsche integriert hat. Während man sich in seiner privaten Trauerbubble körperlich nur von Chips und alten Essensresten und geistig durch bettflixen ernährt hat, ist es wohl der denkbar schlechteste Zeitpunkt für einen mutigen Schritt nach vorn.

Und missversteht mich bitte nicht, denn ich weiß nur zu gut, dass solche Tage absolut legitim sind, ausgekostet und ausgelebt werden wollen. An solchen Tagen ist das eigentliche „am Leben bleiben“ Errungenschaft genug.

An so einem Tag solltest du nicht gerade versuchen, das Trauer-Heftpflaster abzuzuzeln, denn an so einem Tag ist es lediglich wichtig, diesen zu überleben, ab und an auf Toilette zu gehen und vielleicht sogar komplett autistisch eine Pizza ohne Menschenkontakt zu bestellen.

Denn dies ist zugegebenermaßen eine der wunderbarsten Errungenschaft der Coronazeit:

Die kontaktlose Übergabe.

Man kann in Deutschland endlich ohne jeglichen Menschenkontakt online bestellen, online bezahlen und das leckere Schmackofatz wird bei der Anlieferung direkt vor der Wohnungstür abgestellt.

Nachdem man leise durch den Spion lunschend beobachtet, wie sich der Bote wieder in den Aufzug geschält hat, öffnetman erst dann die hermetisch schließende Wohnungstür, ohne dass der Speisebote sieht, wie man über seine eigenen Tränensäcke stolpert.

Aber das Gute (oder auch Schlechte) mit allen Vorkommnissen im Leben ist: sie gehen vorbei. Restlos, alle Vorkommnisse, immer!

Und dann kommt endlich dieser eine Tag, an dem man komischerweise wieder gute Laune hat. Das Wetter ist schön und exakt dann ist der ideale Zeitpunkt gekommen, um eines der vielen Heftpflaster von der verletzten Seele zu reißen.

Hier kommen meine persönlichen Tipps, die mir bis jetzt sehr gut helfen. Und ja, bis jetzt, der Prozess ist noch lange nicht beendet.

Aushalten

Wenn der Trauerschmerz akut ist, hilft erstmal nur aushalten. So unmöglich das erscheint. 

Suche dir eine ruhige Ecke, in die du dich verkriechen kannst und weine, so lange es geht. 

Mir hilft dann auch ganz laut so zu grunzen wie Marge Simpson. In meinem Körper sitzt der Schmerz innen, zwischen Herz und Bauch. Es fühlt sich an, als würde mich  jemand mit Krallen von innen auffetzen. Der Marge-Grunzer hilft mir, dieses Gefühl zu übertünchen. 

Vielleicht ist dass der Grund, warum Death Metal Musik entstanden ist. Die Sänger sind wahrscheinlich furchtbar traurig.

Abschiedsschmerz beim Wegwerfen

Natürlich möchte man sich am Anfang von gar nichts trennen. Alles erinnert einen an den Verstorbenen. Es ist der letzte Faden, der einen noch mit dem Jenseits verbindet. Es fühlt sich nach Verrat an, wenn man irgendetwas wegwirft. Wie eine mangelnde Wertschätzung. Als würde man den geliebten Menschen ein zweites Mal verlieren.

Aber frage dich mal selbst, wie würdest du darauf reagieren, wenn alles von dir aufgehoben werden würde? Du würdest doch auch sicher sagen „ach, mach doch nicht so ein Theater um meinen Kram. Du brauchst das doch gar nicht“.

Man kann durch den Akt des Wegwerfens oder Verschenkens auch keine Erinnerungen löschen, weil man diese ja für immer in seinem Herzen tief und fest gespeichert hat. Ein T-Shirt bringt leider nicht die geliebte Person zurück. Das ist zwar eine schreckliche Erkenntnis, hilft aber doch recht gut.

Wenn ich wieder irgendetwas wegwerfen musste, und darüber hin- und hergerissen war, habe ich mich gefragt:

Bringt es mir Steffen zurück?

Ganz sicher nicht. Leider.

Hilfe

Schnapp dir für deinen ersten Coup einen guten Freund oder Freundin oder jemanden aus der Familie und bitte die Person um Hilfe, dich bei dem jeweiligen Schritt zu begleiten. Bitte ihn, dir beizustehen und gegebenenfalls einen neutralen Überblick über die nun folgende Situation zu behalten.

Mein Beispiel:

Ich musste meine Cateringküche ausräumen. Alle Gewürze und die Inhalte der Schubladen mussten durchgeschaut und gegebenenfalls gesichert werden. Ich schaffte dies einfach nicht allein, denn jedes Teil, jedes Gewürz und jedes Objekt hatte bis vor kurzem noch Steffen angefasst. Alles atmete Steffen. Sei es nur sein Messer, seine Kaffeetasse oder die gestapelten Thermoboxen.

Also bat ich meinen Freund E. mir beizustehen.

Seine Tätigkeit bestand zwar lediglich darin, den offenen Müllsack aufzuhalten und bei jedem Artikel, an dem ich mich festhielt, zu fragen: „brauchst Du den noch, kannst Du den noch verwenden oder kann das weg?“. Innerhalb einer Stunde war die Küche von den meisten Inhalten befreit.

Aber ohne seine Hilfe hätte ich das alleine niemals geschafft.

Notfall

Manchmal hilft auch einfach ein Notfall eines anderen, der nun dringend deine Hilfe braucht. Das Geheimnis besteht darin: Wenn dich jemand um Hilfe bittet, kann man schlecht nein sagen und ist dadurch gezwungen, über seinen Schatten zu springen.

Beispiel:

Mein Nachbar musste letzte Woche ins Krankenhaus. In genau das Krankenhaus, in welchem Steffen nur zwei Wochen nach der Krebsdiagnose schon so schlimm gelitten hatte. Das Krankenhaus, vor dessen Eingang ich mit mir haderte: „jedes Mal, wenn ich jemanden in Krankenhäuser bringe, stirbt er zeitnah“.

Und genau dort musste mein Nachbar hin.

An diesem Morgen konnte ich gar nicht so richtig darüber nachdenken, weil mir mein Nachbar so leid tat. Doch als ich ihn dann am Empfang abgesetzt hatte, fuhr ich um das Rondell Richtung Ausgang. Ich fuhr genau an der Stelle vorbei, wo Steffen damals auf mich gewartet hatte. In meiner Fantasie sah ich Steffen dort stehen und Tränen schossen mir in die Augen.

Und zeitgleich startete im Radio ein Gute-Laune-Lied von meiner neuen Playlist aus der Zeit nach Steffens Tod. So als würde er mich trösten wollen: „Ist doch alles nicht so schlimm Schnubbi, mir geht es jetzt viel besser“.

Ja, nicht umsonst gehen wir Trauernden als verrückt durch. Mir passieren ständig solche Geschichten, bei denen ich über die Musik mit Steffen kommuniziere.

Und wenn man ganz allein mit sich ist oder in eine unvorbereitete Situation gerät, hilft immer noch die

Meditation

Manchmal ist man auch so mutig und geht die Sache ganz allein an. Ohne andere. Prinzip Heftpflaster. Quick and dirty den Trauerschmerz wegfetzen.

Aber der Schmerz ist halt auch ein blöder Arsch und kommt manchmal ganz fies durch die Hintertür. Er sneakt sich völlig unerwartet wegen eigentlicher Kleinigkeiten in dein Bewusstsein. Genau dann, wenn man nicht darauf vorbereitet ist.

Beispiel:

Du stehst plötzlich an diesem einen Ort, wo es damals ach so schön war. Oder es kommt dieses eine Lied, was euch so viel bedeutet hat, völlig aus dem Nichts.

Dein Herz scheint schier zu zerreißen. Schmerzhaft krabbelt das Vermissen in deinen Gedärmen hoch Richtung Herz. Die Augen werden nass. Und trotzig plärrt eine eklige Stimme in deinem Hinterkopf: „es wird nie wieder so schön wie damals!“

Ich nenne diese Dinge Trauerminen – die mal so eben ganz einfach explodieren und dich direkt zurück in den Schmerz fetzen. Ich habe darüber einen kleinen Workshop gemacht, den du dir hier ansehen kannst:

Das ist der Moment, wo mir persönlich nur noch eine kleine Meditation hilft, bevor man sich dieser furchtbaren Fatalität hingibt.

Diese Meditation dauert nur wenige Minuten und kann überall und natürlich auch mit offenen Augen gemacht werden:

Meditation bei Trauer

  • wenn nötig, kurz zur Seite gehen bzw. einen ruhigen Platz suchen
  • Augen schließen
  • tief einatmen
  • mit geschlossenen Augen die real spürbare Umwelt erfassen:
    • Geräusche
    • Gerüche
    • Temperatur
  • sich des „Jetzt und Hier“ bewusst werden
  • die dabei ganz natürlich aufpoppenden Gedanken sanft stoppen
  • sage dir selbst „das ist zwar vergangen, vorbei und so nicht wiederholbar, aber wer weiß schon, was noch Tolles kommen mag“
  • danke dem Universum/Gott/dem Schicksal dafür, was du bisher doch für ein Glück hattest, dass du die gemeinsame Zeit mit diesem Menschen überhaupt hattest
  • komme langsam zurück ins jetzt
  • öffne langsam wieder die Augen