Das Steffen schon wieder im Krankenhaus ist, schlaucht mich subtil. Noch lange nicht habe ich diese ganze Krebsgeschichte akzeptiert.
Das Kochen bei der Hitze ist auch nicht gerade Zucker. Ich habe mir extra für die Küche einen Ventilator gekauft. Die Wettervorhersage sagt für die nächsten zwei Wochen Temperaturen um die 30 Grad voraus. Alle jubeln darüber, ich kotze. In der Metro stehen auch nur noch 10 Ventilatoren zum Verkauf da. Das wird ein heißer Sommer.
Dieser Tag macht so überhaupt nicht Spaß. In einem Paralleluniversum würde ich den ganzen Tag im Bett liegen und die Wolken anstarren. Geht aber nicht, man muss ja raus vor die Tür, um Geld zu verdienen um das alles zu bezahlen, damit man aufstehen kann um raus zu gehen und um Geld zu verdienen. Ein Teufelskreis. Ich bin für Lösungen, um diesen Höllenrad zu entkommen, sehr dankbar! Ja, ich spiele Lotto.
Als ich dann endlich am Nachmittag alles fertig ausgeliefert habe sinke ich auf dem Sofa zusammen und hoffe auf einen faulen Abend stupide vor der Glotze sitzend und sich nichtige Probleme fremder Menschen ins Hirn füllen und dadurch abschalten.
Aber nichts da, Steffen hat seine Antibiotika zuhause vergessen und ich muss wohl oder übel noch mal los. Also schmiere ich ihm eine Käsestulle, packe Tonnen von geschälten Möhren, einen Apfel und Brombeeren ein und einen Tetrapack mit Gazpacho und schnappe mir das Rad und fahre hin.
Nicht weil es nichts im Krankenhaus zu essen gibt, sondern weil es null Nährwert hat. In Berlin ist es immer besser, mit dem Rad zu fahren, dies spart auch die elende Parkplatzsuche. Wir treffen uns im Park und Steffen stopft alles in sich hinein. Auch die nun durch den Apfel zermatschten Brombeeren. Er ist tapfer! Wäre ich an seiner Stelle, ich würde brechen. Zermatschte Brombeeren mit kleinen Kernen – pfui Geier!
Die Nerven liegen immer noch blank, wir zoffen uns ein bisschen, schaukeln uns wieder hoch. Werden beide lauter, ich fange an zu heulen und werde hysterisch, ich habe einfach Angst um ihn, um unsere Zukunft und wegen der Scheiß Kohle.
Existenzangst ist ein Arsch. Heulend fahre ich nach Hause, um mich dann im selben Moment wieder verrückt zu machen, da ja Steffen gerade eine Biopsie in der Lunge hatte, also hat er ja jetzt ein Miniloch in der Lunge und meine Fantasie dreht schon wieder durch. Wenn er auch so schnappatmen muß, wie ich, geht vielleicht was kaputt. Das Loch wird größer. Blut und Zeug kommt rein, er kollabiert und stirbt, weil ich ihn so aufgeregt habe.
Zuhause angekommen rufe ich sofort an und frage, ob alles gut ist. Wir vergewissern uns gegenseitig, dass wir uns lieb haben und beruhigen uns endlich.
Es war auch eine gute Idee, das Essen mitzunehmen. Zum Abendbrot gab es eine einsame Graubrotstulle mit einer Scheibe Käse und Margarine. Und Kamillentee.
Am Abend dann ruft mich mein großer Bruder das erste Mal an um mit mir zu reden. Ähnliche Situation wie mit Steffens großem Bruder. Alles etwas schwierig manchmal.
Ich glaube, großer Bruder sein, ist nicht einfach. Man bekommt mit sieben Jahren ein Baby vor die Nase gesetzt und soll es gut finden und ist eigentlich nur genervt. Und unterschwellig zieht sich das dann durch das ganze Leben. Immer nervt das kleine Geschwist mit seinen Killefizproblemen. Große Brüder sind ja geborene Alpha-Tiere. Das macht es nicht besser. Aber, wir beide unterhalten uns seit langem mal wieder wunderbar. Es tut gut und ist hilfreich.
Die meisten zwischenmenschlichen Probleme finden eh immer im eigenen Kopf statt, finde ich.